Warten am Bahnhof des Blues

NEUE MECHANIK Das dänische Duo Straight From the Harp kreuzt spartanische Synthiesounds und Drumbeats mit dem Klangspektrum des Mississippi-Deltas

Über programmierte Beats kann man so ziemlich alles legen. Trotzdem sind Mundharmonikaspieler im elektronischen Genre eher eine Ausnahmeerscheinung. Mit gutem Grund, könnte man vermuten. Allerdings sehen das die beiden Dänen Jarno Varsted und Signe „Lady“ Lützen ganz anders. Unter dem Namen Straight From the Harp spielen sie eine krude Mischung aus sparsamen Computerbeats, verzerrter Blues Harp und pathosfreiem Gesang, dazu kleiden sie sich konsequent im Fünfziger-Look. Was sich auf dem Papier etwas befremdlich lesen mag, klingt auf der Bühne völlig überzeugend, wie ihr Auftritt im King Kong Club am Mittwoch deutlich machte.

Blues und industrialisierte Mechanik gehören irgendwie schon von Anfang an untrennbar zusammen. Der amerikanische Komponist und „Father of the Blues“, W.C. Handy, behauptete, dass er den Blues erfunden habe, als er in Mississippi an einem Bahnhof wartete. Während er schlief, habe jemand neben ihm Gitarre gespielt, und die Töne mischten sich unter die Eisenbahngeräusche.

Nun hat die Musik von Straight From the Harp mit der Migration von Afroamerikanern aus den Südstaaten in den industrialisierten Norden der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar wenig zu tun, doch in Stücken wie „Going, Going, Going“ finden sich mehr als konkrete Anklänge an den Railroad Blues: Harte, schnelle Techno-Beats simulieren klappernde Zugräder, über denen die Mundharmonika gelegentliche Dampfloksignale ausstößt.

Erweckung durch B. B. King

Jarno Varsted besuchte als Zwölfjähriger ein B.-B.-King-Konzert. Seitdem spielt er den Blues in der einen oder anderen Form, sei es in der dänischen Roots-Band The Young Comets oder bei den Alternativ-Rockern Rumspringa. Vor zwei Jahren zog er mit seiner Frau Lady Lützen von Kopenhagen nach Neukölln. Mit dem Wechsel an die Spree begannen sie, ihr gemeinsames Projekt verstärkt voranzutreiben. In diesem Jahr erschien ihr Debütalbum „Rain, Rain, Down, Down“ beim dänischen Indie-Label Auditorium, dessen Stücke sie auch im King Kong Club präsentierten. Zwar musste Varsted den Abend im Alleingang bestreiten, da Lady Lützen verhindert war, der Energie ihrer Musik tat das jedoch keinen Abbruch, auch wenn Lützens verspielte Präsenz ein bisschen fehlte.

Die Stücke beruhen auf minimalen Songstrukturen mit durchgehendem Vierer-Beat, über den Varsted repetitive Mundharmonika-Melodien spielt. So bündeln sich in ihrer Musik die rauen Kräfte von Electro und Blues zu einer dreckigen Vision von No Wave, in der auch Platz für zarte Momente ist. Der Titelsong ihres Albums ist ein ungeschliffenes Synthiepop-Juwel mit unpeinlicher Ohrwurmqualität.

Varsted und Lützen gehören zur kleinen dänischen Musikergemeinde in Berlin, zu der auch die Sängerin und Songwriterin Marie Dahl zählt. Aus Kopenhagen bekommen sie bei ihren Konzerten häufig Unterstützung von befreundeten Kollegen wie dem experimentellen Schlagzeuger Emil de Waal, dessen unorthodoxes Spiel ausgezeichnet zu ihren raubeinigen Arrangements passt. Dass Straight From the Harp aber auch, wie am Mittwoch gesehen, als Ein-Mann-Show eine gute Figur machen, spricht nur für sie.

TIM CASPAR BOEHME

■ Straight From the Harp: „Rain, Rain, Down, Down“ (Auditorium)