KOMMENTAR VON JÜRGEN VOGT
: Nach dem Wunder

Über die rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen herrscht in Chile Konsens

Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Der alte Spruch gilt auch für das Wunder der Bergleute von San José. Und Chiles Präsident Sebastián Piñera ist ein fester Bestandteil dieser wundervollen Erfolgsstory. Der Präsident hatte von Anfang an auf die Rettung der Kumpel gesetzt. Dass er nun über Tage vor den Augen eines Millionenpublikums die Bergleute umarmt, ist nur logisch. Es darf bereits spekuliert werden, welcher Schauspieler in der Hollywood-Fassung seine Rolle spielen darf.

Dass der Präsident damit politisch gepunktet hat, ist ebenfalls nur konsequent. Zu Piñeras Amtsantritt im März waren es vor allem Katastrophenbilder und Organisationschaos, die nach dem schweren Erdbeben für Schlagzeilen sorgten. Seit Juli bestimmten dann die hungerstreikenden Mapuche die Debatte, welche die Aufmerksamkeit auf zum Teil noch immer haarsträubend atavistische Verhältnisse in Chile lenkten.

Aber nie schauten so viele Augen auf das Land wie in den 24 Stunden der Bergungsaktion. Was sie sahen, war ein perfekter, professionell organisierter und vor allem bewegender Ablauf einer bis dahin beispiellosen Rettungsaktion. Die Bergung war ein Medienereignis, mitreißend abgefilmt und global ausgestrahlt. Das nationalistische Pathos hielt sich in einem dem Ereignis angemessenen und für Chile üblichen Rahmen. Piñera nutzte seine Chance und präsentierte sich der Weltöffentlichkeit: Hatte irgendjemand erwartet, dass er zu Hause sitzt und Fernsehen schaut?

Über die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen herrscht in Chile ein parteiübergreifender Konsens. Profite und Exporterfolge waren auch während der vorherigen zwanzig Jahre christdemokratischer und sozialistischer Präsidentschaften wichtiger als Arbeitsschutz. Der rechtskonservative Piñera hat jetzt Konsequenzen für die Sicherheitsstandards in allen Arbeitsbereichen ankündigt. Seine Präsidentschaft wird sich am Ende auch daran messen lassen müssen, was er tatsächlich auf den Weg gebracht hat.

Präsidenten dürfen in Chile, anders als in den USA, nicht für eine sofortige zweite Amtszeit kandidieren. Piñera wird an diesem Grundsatz der chilenischen Verfassung nichts ändern. Möglich ist, dass sich Bergbauminister Laurence Golborne als zukünftiger Kandidat der Rechten in den letzten zwei Monaten nach vorne katapultiert hat.