Fördern und fordern

OFF-KULTUR Das Festival „150% made in Hamburg“ präsentiert elf Tage lang, wie vital die Freie Theaterszene ist – trotz immer prekärer werdender Produktionsbedingungen

VON ROBERT MATTHIES

Zutiefst beunruhigt hat sich die „Koalition der Freien“, ein Zusammenschluss der Freien Szene Hamburgs, Anfang des Monats in einem offenen Brief an Bürgermeister Olaf Scholz gewandt und der Stadt einen „fundamental falschen Einsatz öffentlicher Mittel“ vorgeworfen. Missbraucht werde die Anfang letzten Jahres eingeführte Kultur- und Tourismustaxe, „um ohnehin schon wirtschaftlich starke Institutionen zusätzlich zu finanzieren“. Die eigentliche Kunst- und Kulturszene komme wieder einmal zu kurz.

Eine Reihe von konkreten Maßnahmen fordert die Off-Szene – und signalisiert Bereitschaft zum Dialog und zum gemeinsamen Aufbau von Strukturen: Inhaltlich und institutionell trennen müsse man Kunst und Kreativwirtschaft, aufgestockt werden müsse der zur Förderung der freien Szene eingerichtete Elbkulturfonds, zugleich dürfe er aber kein Ersatz für vorhandene Förderstrukturen werden. Auch kleinere Kulturprojekte müssten gefördert und die freie Szene in die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt einbezogen werden. Reaktionen seitens der Politik gab es bislang keine.

Wie dramatisch die Situation für die Akteure ist, machen ein paar griffige Zahlen deutlich: Kaum mehr als die Hälfte des deutschen Durchschnittseinkommens lässt sich mit freiem Theater und Tanz erwirtschaften, gerade mal 0,01 Prozent des Haushalts gibt Hamburg dafür aus und mehr als die Hälfte der freien Tanz- und Theaterschaffenden hat keinen Zugriff auf Probe- oder Arbeitsräume.

Wie viel Reizvolles, Streitbares und Innovatives – und eben: Förderungswürdiges – in der versprengten Theaterlandschaft abseits der großen Bühnen und Geldströme dennoch auf die Beine gestellt wird, davon können sich die Kritisierten ab Donnerstag elf Tage lang überzeugen: Zum achten Mal präsentiert das freie Festival „150% made in Hamburg“ elf Stücke freier TheatermacherInnen nicht nur aus Hamburg, darunter fünf Uraufführungen und zwei Hamburg-Premieren. Das Interesse in der Szene ist groß: Mehr als 200 Projekte haben sich beworben, doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

Zu sehen sind ab Donnerstag vor allem Stücke, die ungewöhnliche Perspektiven einnehmen, aktuelle Themen aufgreifen und neue Formen erproben. Zum Auftakt stellt etwa die offene Hamburger Formation „costa compagnie“ um den Regisseur Felix-Meyer Christian im Thalia in der Gaußstraße noch einmal ihr Stück „Fukushima, my love“ vor, das auf der Grundlage einer Spurensuche im von Erdbeben, Tsunami und Atom-Katastrophe gezeichneten Japan im Rahmen des Residenz-Programms des Fleetstreet Theaters entstanden ist. „Was ist der Mensch in der Katastrophe?“, fragen zwei Tänzer, zwei Performer, eine Musikerin und ein Videokünstler in dieser bemerkenswerten Arbeit zwischen Tanz, situativer Installation und Dokumentartheater.

Auch Franz von Strolchens „Fictional State – Trilogie des Zusammenlebens Vol. 3“ basiert auf Interviews und Filmaufnahmen, die während einer Reise durch Mazedonien entstanden sind. Mit drei mazedonischen Performern und dem Berliner Techno-Produzenten Lars Stöwe inszeniert von Strolchen daraus ein „Live-Performance-Clubbing als prototypischen Event der Zusammenkunft“ in Anlehnung an illegale Clubbings inmitten der bürgerkriegsähnlichen Zustände des Jahres 2001.

Ganz konkret greift das Festival selbst dem Nachwuchs unter die Arme: Drei Produktionen wurden im Rahmen der Nachwuchsplattform „150% Debutantes Ballroom“ produziert. In ihrer Solo-Punk-Performance „Waiting for Mothing“ erforscht Katharina Roll das Abgründige des Seins, die Züricher Formation Thom Truong analysiert, dekonstruiert und erfindet den Striptease neu und Annette Daubner und Alexa Klett lassen zwei SchauspielerInnen und eine Figurenspielerin die Besiedelung des Mars erproben.

Ganz konkret ist nun auch der nächste Schritt angesichts der prekären Situation der freien Szene: Im nächsten Jahr schließt sich „150% made in Hamburg“ mit dem Tanzfestival „DanceKiosk“ zum „Hamburg Performing Arts Festival“ zusammen.

■ Do, 3. 4. bis So, 13. 4., Infos und Programm: festival150prozent.de