Jenseits der Konfliktlinien

FOTOKUNST Die Bremer Künstlerin Johanna Ahlert zeigt im Galeriehaus Roter Hahn in Gröpelingen Fotos von Menschen und einer Mauer im Westjordanland.

Auch der Streifen, den Banksy dort hinterließ, zieht sich durch ein Bild, hinter einem Verkaufsstand mit Melonen

VON ANDREAS SCHNELL

Ein Blick auf ein beliebiges Nachrichtenportal – und schon taucht Palästina auf. Nicht als irgendeine von vielen Regionen dieser Welt, die durch bestimmte landschaftliche Eigenschaften ökonomisch oder touristisch (was bekanntlich ja auch wieder mit Wirtschaft zu tun hat) an und für sich von Interesse wäre. Sondern im Grunde ausschließlich als Politikum. Und selbst wenn es um Palästina eigentlich überhaupt nicht geht, muss es dann und wann herhalten, wie gerade dieser Tage hinsichtlich der Frage, wie seitens des Westens mit der Krim zu verfahren wäre und ob selbige eventuell hinsichtlich der diplomatischen Behandlung ein neues Palästina werden könnte. Jegliche Befassung mit dem heutigen Palästina wiederum ist, nicht ohne Grund, versteht sich, ohne Israel nicht zu denken und auch deshalb politisch komplex konnotiert. „Verstrickt“ nennt Johanna Ahlert mit dem Wort eines Palästinensers die Situation.

2009 war Ahlert eingeladen, einen interkulturellen Friedenskongress zu dokumentieren. Ihre freie Zeit nutzte die Künstlerin dafür, auf der palästinensischen Seite der Mauer zwischen Israel und Westjordanland entlangzupirschen und zu fotografieren. Dabei hielt sie nicht nur die Mauer selbst fest, an der sich bereits zahlreiche Künstler verewigt haben, darunter der legendäre Banksy. Sie lichtete auch die Menschen ab, die sie im Schatten der Mauer traf.

Gelernt hat Ahlert ihr Handwerk an der Bremer Hochschule für Künste bei dem Fotografen Peter Bialobrzeski, bekannt als einer der bekanntesten dokumentarischen Fotografen Deutschlands – und ein wenig auch bei der taz.bremen, bei der sie rund ein Jahr lang als Fotografin arbeitete, bis die Fotoredaktion abgewickelt wurde, was nach wie vor eine Träne im Knopfloch wert ist. Ein journalistischer Blick lässt sich durchaus in diesen Bildern lesen, die unter dem Titel „Beside Beit Jala“ jetzt zum ersten Mal in Bremen zu sehen sind.

In drei Blöcken wechseln sich Porträts und Maueransichten ab, dominiert wird die Schau von vier großen Schwarz-Weiß-Aufnahmen an der langen Wand der Galerie, senkrecht dazu steht eine mannshohe Wand, ja, geradezu eine Mauer im Raum, an der Farbfotografien in ähnlicher Paaranordnung aufgebracht sind.

Die Porträts deuten dabei nur selten die Brisanz der politischen Situation an, in der die Menschen dort leben, nur zwei Soldaten finden sich unter den Porträtierten und zeugen von der Präsenz der Gewalt. Vor allem zeigt Ahlert ihre Objekte als Menschen. Menschen, die der Kamera zugewandt sind, medienerfahren, könnte man sagen, selbstbewusst allemal.

„Down with Apartheid“, steht da auf der Mauer, Überreste eines Posters mit der Aufschrift: „Palestina – You’re not in Disneyland anymore“ – du bist nicht mehr in Disneyland – sind zu erkennen, auf einem anderen Bild sehen wir Muhammed Ali in Kampfpose, als Street-Art an der Mauer, und auch der Streifen, den Banksy dort hinterließ, zieht sich durch ein Bild, hinter einem Verkaufsstand mit Melonen, in der Kleidung der Widerhall westlicher Marken. Die Normalität, zumindest die Sehnsucht nach ihr, die in der permanenten Krise fortexistiert.

Zu Recht stehen allerdings die großen Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Fokus. Auf dem Gesicht des Jungen, der auf einer davon zu sehen ist, werden bei näherer Betrachtung nicht nur die Schweißperlen im Gesicht sichtbar, auch dass er ein wenig Weiß im Haar hat, dessen Herkunft ungeklärt bleibt, wird kenntlich, sogar die Nähte seiner Bekleidung, deren lose Enden. Das was aber sonst die Hauptrolle spielt in den Medien, die Auswirkungen der politischen Verwerfungen und Konfliktlinien, auch die damit einhergehende materielle Not, stehen hier nicht im Vordergrund, sind lediglich in Details einerseits und der stets präsenten Mauer vorhanden. „Es geht um Menschen“, sagt Ahlert. Und es ist zwar kein neuer Gedanke, aber vielleicht dennoch kein unnützer: dass die Subjekte der Politik eben immer Menschen sind.

■ bis 25. 4., Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr, Galerie im Atelierhaus Roter Hahn, Gröpelinger Heerstraße 226