SCHULSTREIT
: Die beste Schule, die es gibt

Die Tochter will nicht aufs Gymnasium, der Vater ist froh, dass sie Zeit hat – nicht nur zum Lernen

Wir Eltern sind ja die Pest. Vor allem wir, also: postmaterielles Aufsteigermilieu, das nicht die Mehrheit, aber in Fragen der Erziehung die Mehrheitsmeinung bildet. Wir haben eine Gymnasialkarriere hinter uns gebracht. Und jetzt glauben wir fest, so wie früher die Leute, die durch Prügel gedrillt wurden, dass uns diese Ausbildungsform ja auch nicht geschadet habe. Inklusion, na, aber selbstverständlich bejahen wir das Prinzip! Nur, fürs eigene Kind? Ach! – also, nein, fürs Schätzchen muss es dann doch etwas Exklusiveres sein.

Denn: Wer wollte nicht das Beste für sein Kind? Aber wäre es denn wirklich: das Beste? Könnte es nicht sein, dass wir doch so unsere Traumata davongetragen haben beim von heimlichem Grauen grundierten Blick darauf, wie die vielen herausfallen – wie Louis Althusser beschreibt, was die Grundstruktur des gymnasialen Bildungsgangs ausmacht?

Unser ältester Sohn hatte sich noch fürs Gymnasium entschieden, der jüngere ist ihm gefolgt. Er hatte hospitiert, an sechs oder sieben Schulen, alle Typen, die es gab. Ausgesucht hat er sich ein Privat-Gymnasium, das sogar als besonders snobistisch verschrieen ist – damals zu Unrecht. Die Atmo war eher weltläufig und sozial-engagiert. Sie ist von Jahr zu Jahr schlechter geworden, die Weite schmilzt, immer monotoner wird die Vermittlung, es geht wieder um Wissenspaketübergabe. Gründe dafür sind Personalwechsel – und der Schwenk zum Acht-Jahre-Abi: Seither wachsen der Druck, die Konkurrenz, die Klassengrößen – auf die drei Sexten verteilen sich 100 Schüler – und das elitäre Selbstverständnis. Das Soziale existiert als Alibi fort, etwa im Gratis-Etikett der ‚Schule ohne Rassismus‘ – was mit einem Ausländeranteil unter einem Prozent total toll klappt.

Unsere Tochter hat das abgeschreckt. Sie hat sich für eine jener Oberschulen entschieden, die die erfreulich kompromisslose Senatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) im Pleiteland Bremen gut auf die Spur gebracht hat – eine inklusive Oberschule. Die liegt zwar weit weg von zu Hause, aber das erhöht die Selbstständigkeit. Zum Glück geht sie mit einer besten Freundin dorthin, die genauso wie sie eine 100-prozentige Gymnasial-Empfehlung hatte: Das war für die Diskussion zu Hause wichtig.

Denn das ist ja keine leichte Entscheidung für Eltern. Man ist ja guten Willens, aber so schissig! Und man will ja nur das Beste. Was das ist, das legen eben die Vorurteile und persönlichen Erfahrungen fest – die sich auch von den Ergebnissen empirischer Bildungsforschung nicht verscheuchen lassen. Wir haben uns schrecklich gezofft.

Dass unsere Tochter Abi machen wird, ist mir eigentlich klar, dass sie dafür wohl neun Jahre gebraucht haben wird, eigentlich schnurz: Die Relation ist ja ein ganzes Leben. Das aber ist dafür in ihrer Schulzeit nicht auf Schule beschränkt. Rechnen kann sie immer noch besser als die ins Gymnasium umgeleiteten Kinder, die sie jetzt bei Sport oder Tanz immer seltener trifft, weil die sich nach und nach abmelden – während sie zweimal die Woche drei Stunden Sport und einmal Ballett macht. Ihr liebstes ist ohnehin der Horn-Unterricht, für den sie jede freie Minute übt, zum Leidwesen des Bruders. Sie lernt an ihrer Schule bei guten LehrerInnen gut, und bei schlechten schlecht – die meisten sind engagiert, und die Schulleitung gestaltet eine sehr professionelle, nach moderner Managementlehre Feedback-gesteuerte Entwicklung, unbeirrt von den Pestilenz-Eltern, die finden, ihr Kind bräuchte dringend mehr Hausaufgaben.

Sie wächst dort in und an einer Peergroup, einem gar nicht elitären Happy few von 22 SchülerInnen, die von ihren soziokulturellen Voraussetzungen her so verschieden sind, wie die Menschen der Stadt – und die doch einen funktionierenden Klassenverband bilden. Das kann, mit schlechten LehrerInnen, total daneben gehen. Es hat sich aber hier ein bisschen so entwickelt, wie Gesellschaft sein sollte. Und es macht Spaß, dabei zuzusehen, meistens. Ich bin sicher, das ist aktuell das Beste, was in Sachen Schule geht.  BENNO SCHIRRMEISTER