Extremisten-Einstufung wackelt

Darf Verfassungsschutz die Namen seiner Informanten verschweigen? Heute Urteil

FREIBURG taz ■ Wie kann sich ein Bürger gegen Anschwärzungen des Verfassungsschutzes wehren, wenn dieser seine Informanten geheim hält? Über diese Frage verhandelt heute das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Geklagt hatte ein heute 57-jähriger Mann aus Bayern, dessen Namen das Gericht nur mit R. angibt. Seit 1975 arbeitet er in der Rüstungsindustrie, zuletzt als Leiter einer Elektronikabteilung. 1996 wurde ihm nach einer Sicherheitsüberprüfung mitgeteilt, er dürfe keine Verschlusssachen einsehen – in der Rüstungsbranche ist das nicht gerade karriereförderlich. Begründet wird das Misstrauen mit einem Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz. Darin hieß es, R. sei „langjähriger Angehöriger“ der Marxistischen Gruppe gewesen.

Die Marxistische Gruppe war mit über 10.000 Mitgliedern in den 80er-Jahren die stärkste Gruppierung der neuen Linken. Sie lehnte Privateigentum, Staat und Parlamentarismus radikal ab. 1991 löste sie sich auf, lebt aber über ihre Zeitschrift Gegenstandpunkte bis heute weiter.

R. allerdings versicherte in einer eidesstaatlichen Erklärung, dass er nie MG-Mitglied war, vielmehr sei er immer „unpolitisch“ gewesen. Die Auskunft des Verfassungsschutzes könne nur auf einem Missverständnis beruhen. So habe er jahrelang in einem Haus gewohnt, in dem auch eine Wohngemeinschaft mit MG-Mitgliedern ansässig war.

Seit 1998 versucht R. nun, seine Akten beim Verfassungsschutz berichtigen zu lassen. Doch der Geheimdienst gibt nicht nach und beruft sich auf drei zuverlässige Informanten. Diese hätten R. in „MG-Zusammenhängen“ kennen gelernt. Sogar seine Ehefrau sei MG-Mitglied, was R. ebenfalls bestreitet.

Bisher waren R.s Klagen erfolgreich. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster verurteilten den Verfassungsschutz zur Aufnahme eines Aktenvermerks, dass die gesammelten Informationen „unrichtig“ seien.

Diese Urteile sind bemerkenswert, denn R. war es vor Gericht nicht gelungen, zu beweisen, dass er nie MG-Mitglied war. Die Gerichte stellten aber in Rechnung, dass ein derartiger „Negativbeweis“ nur schwer zu erbringen ist. Deshalb müsse der Geheimdienst beweisen, dass seine Angaben richtig sind. Und damit hat der Verfassungsschutz ein Problem. Denn er will seine Informanten nicht offen legen, weil sonst deren Identität und Arbeitsweisen bekannt würden.

Das Oberverwaltungsgericht Münster zog daraus jedoch den bürgerfreundlichen Schluss, dass es zu Lasten des Verfassungsschutzes gehe, wenn die Aussagen der Informanten des Verfassungsschutzes vor Gericht überhaupt nicht auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden können. Das Amt wollte nicht einmal eine einzige MG-Veranstaltung nennen, an der R. konkret teilgenommen habe. Dies schränke den Rechtsschutz des Klägers zu sehr ein, entschieden die OVG-Richter im April 2005.

Kein Wunder, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz gegen das Münsteraner Urteil Revision eingelegt hat. Mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird heute gerechnet. CHRISTIAN RATH