: In den Bergen Kirgistans
KIRGISTAN In dem Jutendorf Aik Say gibt es einsame Strände und einen fantastischen Blick auf die weißen Gipfel des kirgisischen Hochgebirges
■ Informationen auf Deutsch über Kirgistan gibt es bei: www.ecotour.kg
■ Reisen nach Kirgistan vermittelt auch www.igelreisen.de
■ Kosten: zwei Wochen Jurteferien gibt es schon ab 1.350 Euro, Anreise über den Flughafen Bischkek, mind. 2 Personen; Angeboten werden Trekking-, Rad-, Reit- oder Kulturtouren. Individuelle Kombinationen sind möglich.
VON INGE HOLSTEIN
Das Mädchen Ulsada soll heute ihr Abschlusszeugnis bekommen. Wie jedes Dorf in Kirgistan feiert der Flecken Karal Döbö das Ende der Schulzeit mit einem großen Fest. „Sie müssen uns begleiten“, bittet Ulsadas Mutter Nora ihre deutschen Gäste. Der Platz vor der Schule ist mit Luftballons geschmückt, alle Schüler tragen schwarze Anzüge, die Mädchen dunkle Faltenröcke.
Die Direktorin verteilt Auszeichnungen, auch für „gutes Benehmen und gesellschaftliche Arbeit“. Sie appelliert an den Nachwuchs, „unser Land Kirgistan aufzubauen“. Vielleicht klangen die Reden in Sowjetzeiten ein bisschen ähnlich.
Auch Hans aus Berlin soll eine kleine Rede halten. Er wünscht den Schulabgängern „viel Glück und Erfolg in der Zukunft“ und erhält freundlichen Applaus. Danach kommen Deutsche und Kirgisen ins Gespräch.
Der Auftritt stand nicht im Programm, aber er passt zum Konzept des kirgisischen Reiseveranstalters Ecotour. Die Kommunikation zwischen Einheimischen und Gästen wollen Samira und ihre Schwester, Gründerinnen des kleinen Unternehmens, fördern. Gruppen mit maximal acht Personen können im Gebirge reiten, wandern und die Arbeit der Hirten kennen lernen. Übernachtet wird bei Familien oder in Jurten.
„Natürlich wollen wir auch Geld verdienen“, sagt Samira, die in Berlin Geografie studiert hat, „aber mit einem nachhaltigen Tourismus, der die Umwelt schont und zugleich das regionale Einkommen verbessert.“
Sie schufen etwa 80 Arbeitsplätze für Fahrer, Übersetzer, Gastgeber und Guides. Das Unternehmen und seine Gäste unterstützen arme Familien sowie vor allem Schulen und Büchereien in den entlegenen Dörfern.
In Bischkek holen Fahrer und Übersetzer die Gäste ab. Nach einigen Stunden im Kleinbus erreicht man die Jurtensiedlung Ak Say in der Halbwüste am Südufer des Issyk-Kul-See, der zu Recht „Perle der Tienshan-Gebirgsregion“ genannt wird. Menschenleere Strände, kilometerweite Panoramasicht bis zu schneebedeckten Gipfeln am Nordufer, absolute Stille. Beim Essen schildert Gastgeberin Kalbübü die Mühen der Freiheit: „Zu Sowjetzeiten hatten wir einen festen Lohn, heute ist vieles unsicher.“ Von Ak Say fährt und wandert man ins Dorf Temir Kanat, über endlose Weiden, auf denen hunderte Schafe, Pferde und Kühe grasen.
Nach der Unabhängigkeit 1991 wurde das Land verteilt. Beksat und seine Familie bauen in Temir Kanat auf drei Hektar Kartoffeln und Gerste an, mehr wächst nicht im 2.200 Meter hoch gelegenen Tal. „Mir stehen 30 Hektar Weideland in den Bergen zu“, sagt Beksat, „anfangs wollte jeder sein eigenes Gelände einzäunen, aber das ging schief. Tiere laufen kreuz und quer und ungern im Kreis.“
Das bettelarme Dorf wirkt wie aus der modernen Zeit gefallen. Bis man die Schule besucht: Zwölf ziemlich neue PCs mit Flachbildschirmen stehen in einem Klassenraum, der mit einer Eisengitter-Tür gesichert ist. Es gibt kein Internet, aber die Schüler üben mit der neuesten Windows-Version Mathe und Textverarbeitung. Im Flur fordert Lenin in großen Lettern „Lernen, lernen und nochmals lernen!“ In Temir Kanat, wo Kinder in der Vorschule das Alphabet lernen, ist die Zeit nicht wirklich stehen geblieben.
Dennoch mutet es seltsam an, dass im Nachbardorf Turasu nur alle zwei Wochen mit der Post eine Zeitung kommt, es für ein paar hundert Einwohner nur einen einzigen Festnetzanschluss im Wohnhaus des Lehrers Sakr gibt und Handys mangels Netz nicht zu benutzen sind.
DER LANDWIRT BEKSAT
Es sei nicht einfach gewesen, erinnert Samira, „den Leuten klarzumachen, dass sie die Natur als wertvolles Gut schützen müssen, auch weil sie eine Einkommensquelle sein kann“.
Inzwischen sei es auch gelungen, Wilderei und die illegale Fallenstellerei weitgehend einzudämmen. Mit Glück sind seltene Tiere wie der Schneeleopard oder der Ibisschnabel zu beobachten. In den Bergen sieht man Hänge voller Eisenhut und Storchschnabel sowie Teppiche aus Edelweiß und Enzian.
Wer nicht vom Transit der afghanischen Drogen profitiere, heißt es, finanziere seinen Mercedes, BMW oder Audi auf Pump. Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von rund 1.600 Euro pro Kopf – Kirgistan gehört zu den 40 ärmsten Staaten der Welt – dürfte selbst eine Kiste mit knapp einer Million Kilometern auf dem Tacho schwer zu bezahlen sein.
Dieses Jahr fiel in Bischkek am 25. Mai die übliche öffentliche Party zum Schulschluss aus. Zu groß war die Furcht vor einem Wiederaufflammen der Unruhen, bei denen seit April etwa 90 Menschen ums Leben kamen.
Nora aus Karol Döbö schickt ihre Tochter Ulsada Ende Juni zum Englisch-Studium nach Bischkek. Angst vor Unruhen haben sie nicht. Vielleicht eher vor eine Entführung. In Kirgistan wird jede vierte Braut entführt und zur Ehe gezwungen. Aber darüber spricht man ungern.
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