MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Mein Ex-Zuchtbulle hieß Anke

Auf unserem Hof wird den Kühen noch auf natürlichem Wege zu ihren Kälbern verholfen. Natursprung nennt man dieses Verfahren. Gefährlich wird es, wenn der Bulle den Bauern aufs Kreuz legt

Schon immer hatten wir auf unserem Hof einen Zuchtbullen. Zwar gilt künstliche Besamung als fortschrittlich, der „Natursprung“, wie der Deckvorgang in der Agrariersprache heißt, als hinterwäldlerisch. Dennoch hielten schon meine Eltern all die Jahre am Einsatz eines Zuchtbullen fest, aus wirtschaftlichen Erwägungen. Denn sie wollten nie Hochleistungsrinderzüchter sein. Nein, ihnen war wichtig, kostengünstig ihre Milchquote voll zu melken, und sie wollten, dass jede Kuh in jedem Jahr ein Kalb bekommt.

Bei dieser Zielsetzung ist der Zuchtbulle gegenüber der künstlichen Besamung von Vorteil, denn er schwängert Kühe problemloser als ein Minispermaröhrchen. Man lässt die bullige Kuh zu ihm, und die beiden paaren sich wieder und wieder. Im Gegensatz dazu kommt der Besamungstechniker irgendwann auf seiner Tour vorbei und besamt die Kuh mit einer winzigen Menge Sperma. Da hat die Kuh dann vielleicht gar keinen Bock mehr drauf. Und günstiger ist der Zuchtbulle auch; man kauft ihn, behält ihn zwei Jahre (danach wird er zu schwer) und verkauft ihn nur unwesentlich billiger an den Schlachthof. So schlagen für seinen Unterhalt nur wenig mehr als seine Futterkosten zu Buche, und er deckt ganz umsonst (so wie er sich benimmt, würde er, wenn er könnte, sogar dafür bezahlen). Bei der künstlichen Besamung hingegen werden pro Vorgang die Spermaportion und die Besamungsgebühr in Rechnung gestellt, zuzüglich Mehrwertsteuer.

Leider kann ein Zuchtbulle auch gefährlich sein. Vor ein paar Tagen war in der Bullenbox die Tränke kaputt. Bisher war unser Zuchtbulle Anke – traditionell heißen unsere Zuchtbullen immer nach dem Bauern, von dem sie stammen, und Anke war von einer Bäuerin – friedlich. Ich stieg in die Box, mein Lehrling Sven stand außen am Boxengatter und sollte Anke mit einem Knüppel von mir fernhalten. Wir schnackten, und plötzlich drückte Anke mich in die Ecke und schubberte an mir herum, als sei ich ein Scheuerpfahl. Ich schrie ihn an, haute ihm mit den Händen auf die Augen, aber er ließ nicht von mir ab. Schon lag ich auf dem Rücken im Mist, und Anke stieß mich durch die Gegend. Ich hatte Todesangst. „Die Forke, die Forke!“, brüllte ich, Sven holte eine Forke und haute sie dem Bullen in den Hintern. Anke erschrak und drehte sich um – ich sprang auf, aber da war Anke schon wieder hinter mir und knallte mit dem Kopf dort gegen das Gitter, wo ich gerade noch war.

Ich bin noch mal davongekommen. Mein Lehrling hat mir das Leben gerettet. Ein paar Tage später habe ich Anke schlachten lassen. Jetzt ist er tot, und ich lebe. Besser als umgekehrt. Finde ich.

Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat