Mit freundlichem Sarkasmus

5.000-WÖRTLER Erzählungen aus dem Nachlass von Kurt Vonnegut

Suche Traum, biete mich“ hieß 2001 eine Sammlung von Kurt Vonneguts frühen Erzählungen für Magazine. Was er von diesen Brotarbeiten hielt, hat der 2007 gestorbene US-amerikanische Schriftsteller damals im Vorwort erläutert. Sie seien vor allem als Überbleibsel aus einer Zeit interessant, in der unterhaltsame Zeitschriftenliteratur noch eine Konkurrenz zum Fernsehen darstellte und ein Autor eine Familie mit solchen Geschichten ernähren konnte, „wodurch er genug Freizeit bekam, um ernsthafte Romane zu schreiben“.

Vonnegut schätzt sie darum nicht gering. Um ihren Wert gerecht zu taxieren, erzählt er von seinen eigenen frühen Lektüreerfahrungen. Er kommt von der Schule nach Hause, ist unbeliebt bei seinen Mitschülern, gelangweilt, das Wetter ist schlecht, also beginnt er in der herumliegenden Saturday Evening Post zu blättern. „Während ich lese, verlangsamen sich Puls und Atmung. Mein Ärger über die Schule fällt von mir ab. Ich befinde mich in einem angenehmen Zustand, irgendwo zwischen Schlaf und Erholung.“

Vonnegut glaubt, „dass eine Kurzgeschichte wegen ihrer physiologischen und psychologischen Wirkung auf den Menschen den buddhistischen Meditationsformen näher verwandt ist als jede andere Form erzählerischer Unterhaltung“. Deshalb dürfte man bei einer Sammlung von Brotarbeiten zwar keine literarische „Größe“ erwarten, einen ganzen „Packen buddhistischer Nickerchen“ aber allemal.

Das beschreibt auch „Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße“, diese neue Sammlung aus dem Nachlass, ganz gut. Obwohl die Geschichten anscheinend alle unveröffentlicht sind – ein paar Annotationen über Kontext und Entstehungszeitraum hätte man ganz gern gelesen –, gehören sie mit Sicherheit zu Vonneguts frühen Texten, die er an Wochen- und Monatsmagazine verkaufen wollte. In einer Geschichte taucht sogar der aus „Suche Traum, biete mich“ bekannte Serienheld George M. Helmholtz auf, jener liebenswert-kauzige und wahrhaft philanthropische Musiklehrer, der die Lincoln High School zu einem freundlicheren Ort macht.

Warum es Vonnegut nicht gelang, diese Erzählungen unterzubringen, ist nicht einzusehen. Es sind souverän ausgearbeitete, mit dem für ihn typischen zurückgenommenen, fast freundlichen Sarkasmus und einem nicht unbeträchtlichen Dialogwitz durcherzählte Erzählungen, die den Leser nie ohne eine unmissverständliche Lektion in angewandter Ethik entlassen. Bestes Magazinfutter also!

In einem Brief von 1951 an seinen Autorenkollegen Harris Miller, der das Buch beschließt, hadert er ein bisschen mit der Produktion solcher „5000-Wörtler“, diesem „gediegenen, glatten Bombast“. Er sichert ihm die Subsistenz, aber er würde lieber langsam anfangen, Teil einer neuen „Schule“ zu sein. Es wird jedoch noch über zehn Jahre dauern, bis er mit avancierteren, nach der ursprünglichen Definition des US-Literaturtheoretikers Leslie A. Fiedler „postmodernen“ Texten wie „Cat’s Cradle“ und „Slaughterhouse-Five“ tatsächlich eine neue literarische Richtung mitprägt.

Aber auch wenn die Geschichten bloß professionelles Unterhaltungshandwerk sind, ist man oft berührt von der Güte und Empathie, die dieser Autor für seine kleinen Angestellten, Zeitungsjungen und freundlichen Dummköpfe aufbringt. Man merkt den Geschichten zwar allzu deutlich an, dass sie einen besseren Menschen aus einem machen sollen. Aber man möchte trotzdem glauben, dass es ihnen gelingt. FRANK SCHÄFER

Kurt Vonnegut: „Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße“. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Kein und Aber, Zürich 2010, 286 Seiten, 18,90 Euro