Das Fleisch, die Fabrik und der Tod

VEGGI-TREND Der Fleischkonsum in Deutschland geht zurück. Von einer Debatte über Tierrechte sind aber selbst Veganer noch weit entfernt

taz: Frau Sezgin, Aldi hat eben wieder seine Fleischpreise gesenkt, andere Discounter ziehen mit. Mehr und mehr Verbraucher finden das problematisch.

Hilal Sezgin: Ja, viele Menschen wissen, was Tierhaltung unter industrialisierten Bedingungen bedeutet und dass hinter den niedrigen Preisen viel Leid von Tieren steht. Hoffen wir, dass das Unbehagen ein gründliches Umdenken in Gang setzt!

Der Fleischverbrauch ist in Deutschland zuletzt gesunken, nicht nur Vegetarismus, auch Veganismus ist gerade sehr angesagt. Ist das nur eine Mode oder ein Trend?

Nein, es gibt immer mehr Menschen, die Nutztiere als Lebewesen betrachten und die Konsequenzen daraus ziehen. Ich hoffe, dass man den Trend zum Veganismus zu einer Debatte über Tierrechte erweitern kann.

Reicht das? Die meisten Menschen werden sich als große Tierfreunde bezeichnen.

Das ist nicht dasselbe. Als Tierrechtler muss man kein Tierfreund sein, genau so wenig wie man in Afrika gewesen sein muss, um für fairen Handel zu sein. Im Gegenteil: Ich sehe Leute, die sentimental mit ihren Tieren umgehen und daraus überhaupt nichts folgern. Neulich traf ich beim Friseur eine Frau, die mit ihrem Hündchen in Babysprache redete und einen Fellkragen trug. Ich sagte: „Entschuldigung, das ist doch Marder- oder Waschbärfell“, woraufhin sie meinte: „Na und?“

In Ihrem Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ schreiben Sie, dass man die Balance finden muss zwischen dem zu hohen und dem zu geringen Anspruch an unseren Umgang mit Tieren.

Man darf sich weder über- noch unterfordern. Ich glaube, wir neigen da zu beidem. Wenn wir theoretisch darüber nachdenken, würden wir am liebsten alles Leid von dieser Welt verbannen. Dann wird uns klar, wie viel es davon gibt, und vor Schreck – oder aus Faulheit – machen wir gar nichts. Es geht darum, eine gute Mitte zu finden. Wir müssen uns klar machen, dass wir immer Schaden anrichten werden, Ressourcen verbrauchen, und selbst wenn ich Veganer bin, sind meine Medikamente an Tieren getestet. Trotzdem braucht es den Willen, über den jetzigen Zustand hinauszukommen.

Logische Folge des Veganismus ist, dass einige der Nutztierarten vermutlich aussterben.

Das kann sein. Aber ehrlich: Wäre es schlimm, wenn die 600 Millionen kaputt gezüchteten Hühner, die jährlich geschlachtet werden, aussterben? Jedes Tier hat individuell ein Lebensrecht, aber nicht jede Zuchtlinie muss weiterbestehen.

Eine radikale Einstellung, die viele Menschen abschrecken könnte?

Aber zu solchen Ansichten kommt man einfach, wenn man die Dinge zu Ende denkt: Vegetarier essen zwar kein Fleisch, trotzdem werden dafür Legehennen und Milchkühe getötet. Aber wir Veganer müssen darauf achten, nicht dogmatisch rüberzukommen und eine gewisse Freundlichkeit zu behalten, nicht bitter zu werden. Das ist nicht ganz leicht. Schließlich geht es um den Tod von Millionen von Tieren. INTERVIEW: JÖRN KABISCH

Jörn Kabisch, Jahrgang 1971, ist Gastronomie-Kolumnist der taz und arbeitet in der taz.am wochenende. Auf dem taz.lab moderiert er das Panel zum Thema „Tierethik“ und spricht darüber mit Hilal Sezgin und dem Philosophen Harald Lemke.