Kulturkampf auf dem Lande

In seinen neuen Regionalschulen erlaubt Schleswig-Holstein weiter die Trennung von Haupt- und Realschülern. Der Schülerschwund könnte dem Modell Gemeinschaftsschule zugute kommen

von KAIJA KUTTER

Ein typischer Fall von „Zu frühgefreut“: Nachdem die Große Koalition in Kiel am Sonntag ihren Bildungskompromiss zimmerte, sah der dortige Grünen-Sprecher Robert Habeck das dreigliedrige Schulsystem bereits halbwegs aufgelöst. Es schien ihm zunächst so, als würden die Haupt- und Realschulen im nördlichsten Bundesland zusammengefasst zu „Regionalschulen oder Gemeinschaftsschulen“. Doch da kannte Habeck das Kleingedruckte noch nicht. Von einer „Verschlimmbesserung“ spricht der Grüne inzwischen, nach einer erläuternden Pressekonferenz von Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD). „Die wollen keine Schulformen auflösen, sondern alles nebeneinander stehen lassen.“

Zwar sollen die 241 Hauptschulen und 162 Realschulen bis zum Sommer 2010 tatsächlich zusammengelegt werden. „Sie können an verschiedenen Orten sein, müssen aber eine Schulleitung haben“, erklärt Ministeriumssprecher Lars Langenau. Die Pflicht zum gemeinsamen Unterricht beschränkt der schwarz-rote Kompromiss aber auf die Klassen 5 und 6. Bislang trennt Schleswig-Holstein schon zehnjährige Viertklässler auf Haupt- und Realschulen auf. „Wir sind im Norden etwas hinterwäldlerischer“, erläutert die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Angelika Birk.

Was in Kiel unter „Regionalschule“ verstanden wird, praktiziert man in Hamburg seit jeher als so genannte „HR-Schule“ – ohne allerdings die Probleme gelöst zu haben. Wegen der stetig schrumpfenden Anmeldezahlen und der ungünstigen Zusammensetzung der Schülerschaft denkt an der Elbe sogar die CDU über die vollständige Auflösung der Hauptschulzweige nach. Neben dem Gymnasium soll eine „Stadtteilschule“ aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen entstehen, die auch den Weg zum Abitur offen lässt.

Dies entspricht etwa dem Konzept der „Gemeinschaftsschule“, wie sie von Schleswig-Holsteins SPD favorisiert wird. Laut Koalitionskompromiss vom Sonntag wird diese Form ins Schulgesetz aufgenommen. Dass die CDU das mitträgt, sieht Ministerin Erdsiek-Rave als Erfolg. Überall dort, wo die Schülerzahlen sinken – und das tun sie im ganzen Land bis 2016 um ein Viertel – könnten nah beieinander liegende Gymnasien und Haupt- und Realschulen fusionieren. Sechs Gemeinden, die das planen, gibt es bereits, auf der Ostseeinsel Fehmarn sogar auf Betreiben der CDU.

Einen Unterschied zu den 25 Gesamtschulen im Land gebe es „grob gesehen nicht“, räumt Ministeriumssprecher Langenau ein. Diese sollen sich, so will es Schwarz-Rot, ebenfalls bis 2010 in Gemeinschaftsschulen umwandeln. Dafür soll das umstrittene System der „A- und B-Kurse“ an Gesamtschulen schrittweise ersetzt werden durch eine „Binnendifferenzierung im Klassenverband“. Ein Weg, den in Hamburg jede vierte Gesamtschule aus eigenen Stücken geht. Allerdings schreibt die Kultusministerkonferenz ihnen vor, die Schüler im Fach Mathematik ab Klasse 8 nach Leistung zu trennen; das gilt auch für die Gemeinschaftsschule.

Angelika Birk glaubt nicht, dass die Gemeinschaftsschule „Massentrend“ wird. Dafür, findet sie, hätte man die Gymnasien in die Reform einbinden müssen. Zwar gebe es bei Eltern einen „Bildungsreformhunger“, doch in jüngerer Zeit sei die Gründung neuer Gesamtschulen stets an konservativen Mehrheiten in den Kommunen gescheitert. „Die Westküste“, sagt Birk, „ist gesamtschulfrei.“ Nur in Kiel, Flensburg und Lübeck sowie im Hamburger Umland habe diese Schulform sich etabliert. Als kürzlich nahe Lübeck eine Gesamtschule geplant war, sei ein regelrechter „Kulturkampf“ entbrannt, so Birk. „Es wollten dreimal so viele ihre Kinder an Gesamtschulen anmelden als Plätze da sind.“ Hätte man dem Willen der abgewiesenen Eltern entsprochen, sagt Birk, hätte Lübeck „drei Gesamtschulen mehr“.