„Jeder hat das Recht auf gutes Fleisch“

Thilo Bode, Gründer der Organisation „Foodwatch“, hält Lebensmittelskandale wie den um vergammeltes Fleisch für den Normalfall. Wie sich Verbraucher trotzdem bewusst ernähren können – und was sich politisch ändern muss

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Herr Bode, essen Sie noch Döner?

Thilo Bode: Nein. Im Prinzip habe ich aber gerne Döner gegessen.

Was hat Ihr Prinzip ausgehebelt?

Ich esse Fleisch gern. Aber der Appetit auf Döner, Asia Food und Gulasch, das ich nicht selbst gekocht habe, ist mir einfach vergangen. Als Verbraucher kann ich mich bei Produkten, die verarbeitet sind, die schon fertig gewürzt sind oder in einer Marinade liegen, nicht schützen. Nach wie vor nicht.

Sie sind Vegetarier geworden?

Nein. Es gibt ja immer noch die Möglichkeit, einen wunderschönen Schweinebraten zu kaufen und sich zu braten – wo man den Händler kennt und weiß, dass alles in Ordnung ist.

Reicht es, den Händler zu kennen?

Fleisch ist mehr als jedes andere Lebensmittel Vertrauenssache. Eine wichtige Voraussetzung ist doch, zu wissen, woher das Fleisch kommt.

Vertrauen? Am Ende müssen Sie doch auch das glauben, was Ihr Metzger so behauptet.

Stimmt. Selber in den Stall gucken kann ich nicht, prüfen, mit welchem Futter die Tiere versorgt werden, auch nicht. Das kann man in einer Viermillionenstadt wie Berlin erst recht nicht. Deren Bewohner können nicht alle ihr Fleisch bei Bauern in Brandenburg persönlich ordern. Die hygienischen Standards müssen also stimmen – und zwar für jede Qualität.

„Kauft öko!“, sagen viele.

Durch die Einkaufsgewohnheiten Einzelner kann die Struktur des Marktes nicht verändert werden. Die Sicherheit muss für alle Sorten Fleisch gelten.

Was soll ein Verbraucher jetzt machen – wenn er etwa Rindsrouladen zubereiten will?

Es gibt Nischenprodukte im konventionellen Segment, zum Beispiel erfüllen die Produkte der „Neuland“-Kette sehr gute gute Sicherheits- und Qualitätskriterien. Auch ökologisch erzeugtes Fleisch ist im Prinzip sicherer.

Wobei das Siegel Öko nicht risikofrei ist. Nitrofen …

… ja, der größte Skandal der Bundesrepublik war einer im Ökolandbau. Weil Pflanzenschutzmittel wie Nitrofen aus konventionellem Anbau verbotenerweise im Öko-Putenfleisch gelandet ist.

Aber selbst diese etwas sicherere Möglichkeit haben nicht alle, Neuland-Fleisch gibt es nicht überall zu kaufen.

Weil der Staat, weil die Europäische Union diese gut kontrollierten Produkte nicht fördert. Darauf sollten sie auch nicht angewiesen sein. Jedes Fleisch muss sicher sein. Ich will doch nicht der alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, Hartv-IV-Empfängerin womöglich, vorschreiben, dass sie, um sich nicht zu vergiften, nur Biolebensmittel kaufen muss. Ich finde das unsozial. Auch diese Verbraucherin muss das Recht haben, Lebensmittel zu kaufen, die gesund sind, also nicht Gesetze verletzen.

Bleibt dem Konsumenten also nur, so etwas wie Vertrauen haben zu müssen?

Es geht nicht um „Vertrauen haben zu müssen“, sondern um „Vertrauen haben zu können“. Leider. Beim Fliegen weiß man auch, dass die Flugüberwachung strengen Standards folgen muss. In einem normalen Lebensmittelladen geht das nicht: Beim Fleischkaufen ist fast immer Misstrauen angesagt.

Was schlagen Sie vor?

Man muss die Risiken minimieren, so weit man das kann. Wichtig ist doch die Erkenntnis, dass die jetzige Situation in einem zivilisierten, demokratischen Land unakzeptabel ist: Politiker müssen das Recht des Verbrauchers auf körperliche Unversehrtheit schützen. Es ist ein Demokratiedefizit, mit dem wir uns herumschlagen müssen – keines, bei dem es um Öko oder Nicht-Öko geht.

Aber der Verbraucher will viel Fleisch – und das ist anders nicht zu haben als per Massenproduktion.

Dass ein Verbraucher sich entscheidet, viel Fleisch zu essen, mag nicht gesund sein, aber es gehört auch zu seiner Freiheit, in einer Demokratie, dies tun zu können. Der Staat muss garantieren, dass der Bürger gefahrlos essen kann, was er will. Dass er jedenfalls nicht tot umfällt, wenn er sich teure Ökoprodukte nicht leisten kann. Der Staat soll für Sicherheit sorgen – aber den Verbraucher nicht belehren, dass er ohnehin zu viel Fleisch isst. Darüber hinaus muss der Markt so gestaltet sein, dass man bei gleicher Sicherheit zwischen verschiedenen Qualitäten wählen kann.

Können Sie mit naiven Augen noch durch die Lebensmittelwelt gehen? Oder sehen Sie überall nur Fäulnis und Verderbnis?

Seltsamerweise macht mir das Kochen jetzt mehr Spaß. So versuche ich, einen Überblick über die Zutaten zu behalten. Fertig zubereitete Sachen nutze ich überhaupt nicht. Woher soll ich wissen, was darin enthalten ist? So etwas wie der Gammelfleischskandal ragt heraus – aber der Skandal ist der Normalfall.

Man könnte mit dem Lebensmittelgesetz unterm Arm einkaufen gehen.

Ich kann doch nicht von jedem verlangen, dass er auf diese fast wissenschaftliche Weise einkaufen geht. Das wäre völlig unverhältnismäßig und das würde doch auch nerven. Aber so wird es in gewissen Kreisen definiert.

Wie wird es definiert?

Faktisch so, dass man als Verbraucher die Last der Verantwortung zu tragen hat. Völlig falsch. Der Verbraucher kann gar nichts genau wissen. Wenn Sie einen Liter Milch kaufen und über 1 Euro bezahlen für eine bekannte Marke, die Discountermarke kostet jedoch nur die Hälfte, ist nicht zu erkennen, woher dieser Preisunterschied rührt. Sie werden feststellen, dass, hygienisch und von der Produktbeschaffenheit her gesehen, die Milch die gleiche ist. Dann fragen Sie sich, warum das so ist.

Und?

Weil man Qualität und Preis nicht übereinanderbringen kann. Sie haben nur Teilinformationen über die Produkte wie Milch. Tierhaltung, Fütterung und genaue Herkunft bleiben meistens verborgen. Das ist so gewollt. Die europäische Landwirtschaft basiert auf dem Prinzip der Massensubvention. Deshalb wird immer nur allgemein für Fleisch oder Milch geworben. Das wäre so ähnlich, als wenn der Verband der Deutschen Automobilindustrie damit werben würde: Fahrt mehr Autos! Statt dass bestimmte Automarken mit ihren Präferenzen werben würden – und die Sicherheit des Fahrzeugs ohnehin bei schärfsten Sanktionen garantiert ist.

Wie könnte es besser werden?

Es muss sich politisch etwas ändern. Wir haben es mit einer Entrechtung des Verbrauchers zu tun, mit einer Verletzung von Grundrechten, mit politischer Entmündigung – nicht mit Fragen schlechter oder guter Nahrungssitten.

Das im Bundesrat beschlossene Verbraucherschutzgesetz, so Minister Seehofer, bietet nun hinreichend Transparenz.

Pure Augenwischerei – weil das Gesetz mit einer Fülle von Ausnahmeregelungen versehen ist. Damit nützt es dem mündigen Bürger wenig.

Was würden Sie tun?

Die Verbraucher müssen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis schnell und unbürokratisch die Namen von Gammelfleischhändlern und Gammelfleischprodukten erfahren sowie auch die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen. Diese Öffentlichkeit ist wegen ihrer präventiven Wirkung der beste Verbraucherschutz. Viel höhere Strafen ins Gesetz verankern, wenn Lebensmittel gammelig angeboten werden.

Was einen Imageschaden bewirkt.

Für die Hersteller ist viel schlimmer, dass die Verbraucher bei Produkten ein Recht auf Schadensersatz erhalten. Wenn Sie heute ein mit Nitrofen kontaminiertes Schnitzel essen und in zehn Jahren an Krebs erkranken, haben Sie ein Nachweisproblem. Wenn wir Transparenz und hohe Haftungsrisiken für die Industrie hätten, dann würde der Markt sich selbst steuern.

Das Gesetz von Seehofer …

… nützt nix. Robben werden viel besser geschützt als Verbraucher. Wenn Sie in einen Bach pinkeln, dessen Wasser aber für Ihr Blumengeschäft verwenden, ist das höchste Bußgeld 50.000 Euro. Wenn Sie ein vergiftetes Schnitzel an eine schwangere Frau verkaufen, drohen Ihnen maximal 20.000 Euro. Im Vergleich zum Umweltrecht ist das Verbraucherrecht Steinzeit.

Würden mehr Kontrollen helfen?

Mehr Kontrollen erwecken den Anschein von Aktivität, aber sie können nicht kontrollieren, was nicht funktioniert. Sie können alle Polizisten in Deutschland zu Lebensmittelkontrolleuren machen, man würde dieselben Probleme haben.

Manche öffentlichen Erregungszustände verebben, wie jetzt beim Gammelfleischskandal. Ist das nicht frustrierend?

Wir wollen diese Situation ändern – das Umweltrecht hat ja auch kein Parlamentarier erfunden, sondern es ist durch die Bürger in die Parlamente getragen worden. Man kann nicht den ganzen Tag herumlaufen und jammern – meine Empörung ebbt nicht ab.

Wann kaufen Sie sich Ihren ersten Döner wieder?

Wenn der Fleischmarkt wieder funktioniert, aber das ist noch ein langer, harter Weg.