Kaffebraunes Musterunternehmen

Vergangenheit, wie sie gewesen sein könnte: Louise Jacobs hat ein Buch über die Geschichte ihrer Familie geschrieben – und über den Auf- und Abstieg einer Kaffee-Weltmarke, die in Bremen noch immer hohes Ansehen genießt

Jacobs Kaffee – wunderbar. Ein Produkt wird zur Weltmarke, zum „Kaffee mit Niveau“. Der Triumphzug gilt als Musterbeispiel Bremer Unternehmertums, obwohl der Familienbetrieb – 1990 an Philip Morris verkauft – seit sechs Jahren im Firmenkonglomerat Kraft Foods versteckt wird. Fakt ist, die Jacobs haben sich mit ihren Milliarden in die Schweiz zurückgezogen, während der Duft ihres Kaffees weiterhin majestätisch durch Bremen weht. Bläst hier der Wind aus Südosten, werden die Fenster aufgerissen, um den Geruch frisch gerösteter Bohnen aus der „Jacobs“- Fabrik genießen zu können.

Damit die Öffentlichkeit auch daran teilhaben kann, was sich im Schatten des Kaffee-Imperiums abspielte, hat Louise Jacobs ihr literarisches Debüt „Café Heimat“ vorgelegt. Darin erfahren wir, dass Firmengründer Johann – wie auch sein Neffe Walther – Bauernjunge war, der als Zweitgeborener das elterliche Gehöft in Borgfeld verlassen und in Bremen sein Glück versuchen mussten. 1898 eröffnete Johann einen Laden für „Caffee, Thee, Cacao, Chocoladen, Biscuits“, den Walther später mit Werbemethoden Made in USA zum Marktführer unter Deutschlands Kaffeeröstern machte. Seine heute 23-jährige Enkelin erzählt diese Geschichte vom Aufstieg – und die eines tragischen Abstiegs.

Ein Riss gehe durch ihre Familie, sagt Louise Jacobs. Während die Großeltern väterlicherseits im 2. Weltkrieg mit dem Kaffee-Verkauf an die Wehrmacht und der Muckefuck-Produktion für das Restvolk gut über die Runden kamen, mussten jene mütterlicherseits, die Jessurums, Deutschland verlassen. 1938 flüchteten die Nachfahren sephardischer Juden aus der großbürgerlichen Behaglichkeit zunächst nach Lissabon, dann nach Amerika. Louise Jacobs’ Urgroßmutter ist in Rio de Janeiro, ihr Urgroßvater in New York begraben, ihre Mutter wurde in Nicaragua geboren.

Auslöser für Louise Jacobs’ zweieinhalbjährige Ahnenforschung war eine Frage ihres Freundes: „Sag mal, hast du eigentlich spanische Vorfahren?“ Louise wusste es nicht. Bei ihrer Familie in Zürich es gab keine Fotos, Dokumente, keine Bücher übers Judentum – nur einen Vorratsschrank voll „Jacobs Krönung“. „Der Normalzustand war das Nichtsprechen“, schreibt sie. Und will dagegen das Schwelgen in Erinnerungen setzen. Nachdem sie im Hamburger Staatsarchiv ihre Wurzeln bis zu einem venezianischen Rabbiner des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen konnte, war das Feuer geweckt. Aber die Familie wehrte sich gegen das Buchprojekt. Leichen im Keller? „Eher psychologischer Art“, erzählt die Autorin. Ihr Vater habe unter der Dominanz seines Vaters gelitten, Walther Jacobs, der 1998 starb, habe sich nur für die Firma und seine Pferdezucht interessiert, die Kinder nicht einmal in den Arm genommen. Darüber spreche man nicht gern. „Opa war ein Phantom, kein Mensch zum anfassen, er kam nie, schickte zum Geburtstag einen Geldschein und ein Foto von seinem Haus.“

Angst vor der Entdeckung einer braunen Vergangenheit? Definierte doch der NS-Kreiskampfführer schon 1933 Jacobs Kaffee „als deutsches Unternehmen“, dessen Name keinesfalls jüdischen Ursprungs sei. Nach dem Krieg erhielt Jacobs von den Alliierten erneut einen Persilschein, um den Rohkaffee-Import anzukurbeln. Für ihren Opa sei Politik Luxus gewesen, „die interessierte ihn nicht“, erklärt Louise Jacobs, „er genoss es zwar, kriegswichtig zu sein, war aber nie in der Partei und seine ,Heil Hitler‘-Grüße waren reine Formsache, um das Unternehmen nicht zu gefährden“.

Folgt man Jacobs‘ Spurensuche, geht man mit ihr bei „Knigge“ in Bremen kaffeesieren, kauft in der Sögestraße eine Krawatte, guckt beim Schaffermahl in die Töpfe. Hat die Autorin einen Bezug zur Hansestadt? „So ein mal im Jahr flog man hin, feierte eine Konfirmation oder einen runden Geburtstag, übernachtete im Parkhotel, flog wieder nach Hause.“ Erst bei den Recherchen habe sie die Stadt näher kennen gelernt. Jacobs meint aber den bremischen „Dickkopf“ des Großvaters geerbt zu haben. Ebenso „empfindet“ die Protestantin eine Nähe zum Judentum. Und zum Kaffee. Das tiefe Schwarz, das anregende Aroma. Sie habe sogar einmal im Café gearbeitet. Trinkt aber selbst keine „Krönung“ – sondern zwei, drei Tassen Espresso am Tag.

„Café Heimat“ ist kein Sachbuch, eher ein Tatsachenroman. „Abgeschrieben direkt aus meinem Kopf“, erklärt Louise Jacobs. Journalistische Faktizität verbindet sich im Plauderton mit literarischer Fantasie. Rückblenden und Parallelmontagen wie im Kino, Reportageelemente wie in der Zeitung, Ich-Erzählung wie im Tagebuch. Und Szenen, Dialoge, Traumbilder als kaffeebraun eingefärbte Nostalgie – Vergangenheit, wie sie gewesen sein könnte. JENS FISCHER

Louise Jacobs: „Cafe Heimat“, Ullstein 2006, 320 Seiten, 19,95 Euro