Das Telefonbuch Hamburgs singen

taz: Herr Tiedemann, warum inszenieren Sie ausgerechnet das öde Telefonbuch?

Philip Tiedemann: Ich denke, dass in dieser dauerberieselten Welt auch scheinbar Langweiliges neue Erkenntnisse vermitteln kann. Zudem beziehe ich mich auf den running Gag, wenn einem nichts einfalle, solle man das Telefonbuch inszenieren.

Wie haben Sie diese Vorlage denn umgesetzt? Alles vorzulesen würde ja dauern …

Wär eine arge Provokation. Nein, wir schauen uns Inseln an – in diesem Buch, das Namen aus 182 Nationen enthält. Es gibt Worte, von denen man gar nicht wusste, dass sie Name sein könnten.

Wird man angesichts dieser Strukturen – Y steht für die Türken, Z für die Osteuropäer – nicht ungewollt zum Rassisten? Ist es nicht heikel, dies zu zeigen und auf „Typisches“ zu verweisen?

Nein. Denn erstens machen wir hier keine Politik, sondern Theater. Zweitens wollen wir niemanden diffamieren. Wir wollen zeigen, dass all dies die „Gemeinde Hamburg“ konstituiert. Und da schließt sich die Frage an: Ist das eine Community oder nur noch die Behauptung einer solchen?

Wie viele Einträge enthält das Hamburger Telefonbuch?

Habe ich nicht recherchiert. Ich weiß auch nicht, wie sich die Namen aussprechen. Ich spreche sie nicht bewusst falsch aus, sondern so, wie ich vermute. Es geht mir nicht darum, alles korrekt wiederzugeben, sondern um die Musik, die die Vokalfolgen etwa asiatischer Namen bergen.

Sie agieren also bewusst aus der Sicht eines Deutschen.

Ja. Das Stück ist sehr subjektiv. Es ist eine sprachmusikalische Reise durch das Telefonbuch und durch die „Gemeinde Hamburg“.

Ist sie ganz beliebig?

Nein. Ich bin zunächst alphabetisch vorgegangen. Wenn das zu ermüdend wurde, habe ich mir was Schönes gesucht und bin zum Pizza-Dienst gesprungen – und schon war ich beim Buchstaben „P“. Grundlage ist die alphabetische Struktur, die wir aber gelegentlich verlassen.

Ist das Telefonbuch der letzte Hort der Übersichtlichkeit?

Es steht für eine gewisse Stabilität. Es ist ja kürzlich 125 Jahre alt geworden und wird die 140 wohl nicht erreichen. Unser Abend ist auch Hommage an eine aussterbende Gattung. Als es 1881 erfunden wurde, haben die Berliner es „Buch der 99 Narren“ genannt. Gemeint waren die 99 Trottel, die sich eine idiotische Erfindung namens Telefon hatten aufquatschen lassen. Inzwischen ist aus den 99 Trotteln das Kommunikationszeitalter geworden.

Versteht sich Ihr Stück als Musical oder als Sprechtheater?

Es changiert zwischen einem Konzert für Schauspieler und einer Wortoper.

Verwenden Sie auch eigene Texte?

Ich habe vorrangig Berufe, Namen, Zahlen und einige Slogans montiert. Dazwischen finden sich Anekdoten und philosophische Reflexionen verschiedener Autoren über das Zusammenspiel von Form und Inhalt. PS

Uraufführung von „Das Telefonbuch von Hamburg“: heute, 20 Uhr, Hamburger Schauspielhaus