„Politikerin? Das bin ich jetzt wohl“

Clara Herrmann ist die jüngste Abgeordnete im neuen Parlament. Die 21-jährige Geografiestudentin und Grüne gibt sich fachkundig, engagiert, resolut – und redet wie eine Politikerin. Dabei zweifelte sie anfangs daran, ob Parteiarbeit überhaupt etwas für sie ist. Denn ihre Ideale will sie nicht aufgeben

„Manchmal ist Politik schon Schauspiel, aber ich will ja eigentlich nur ehrlich sein“

Von Elisabeth Rank

In Berlin sollte man wissen, was man will. Sonst geht man schnell unter. Clara Herrmann möchte erst einmal einen Milchkaffee und ein Glas Leitungswasser. Kein Blick auf die Karte, kein langes Zögern, eine klare Ansage. Vielleicht hat sie als Berlinerin im Blut, wie man hier mit den Leuten umgehen muss. Vielleicht ist sie aber auch einfach so. Den Menschen schaut sie in die Augen, wenn sie spricht. Der Blick wandert nicht durch die Gegend, sondern geht genau dahin, wo auch die Worte hin sollen. Direkt auf ihr Gegenüber. Was der dann damit macht, bleibt ihm selbst überlassen. Clara Herrmann lehnt sich jetzt erst einmal zurück.

Noch ist sie Sprecherin der Grünen Jugend Berlin, bald sitzt sie für fünf Jahre im Abgeordnetenhaus. Für jemanden im Alter von 21 eine recht sichere Zukunft. „Eigentlich plant man ja selten länger als ein bis zwei Jahre“, sagt Clara und spielt dabei mit ihrem Kaffeelöffel. „Ich kann das alles noch gar nicht wirklich abschätzen.“ Das sagt sie leise, mit dem Blick auf den Tisch. Und in diesem Moment rutschen ihr die Politikerphrasen in die Tasse. Sie wird leiser, wenn es einfach nur um den Menschen Clara Herrmann geht. Für persönliche Fragen scheint sie sich noch keine Taktik zurechtgelegt zu haben. Da tastet sie sich lieber langsam heran.

Clara Herrmann wurde 1985 in Berlin geboren, ist in Schöneberg aufgewachsen und wohnt jetzt in Kreuzberg. Sie ist in einem Lesekreis, der „gar nicht so altmodisch ist, wie er klingt“ und spielt Fußball. Ihr Team hat sich vor kurzem zwar aufgelöst, aber für regelmäßiges Training habe sie eh kaum noch Zeit.

Seit sie 17 ist, engagiert sie sich in der Politik. Angeschubst durch ein Jugendparlament kam sie zur Grünen Jugend. „Die Frage war nie, in welche Partei ich gehe, sondern eher, ob Parteiarbeit überhaupt etwas für mich ist“, erzählt sie. Dass die Grünen am ehesten ihrer Weltanschauung entsprechen, war der Geografiestudentin schon klar. Nach ihrem politischen Start 2002 ging eigentlich alles recht schnell. Erst war sie Mitglied im Landesvorstand der Grünen Jugend Berlin, dann wurde sie Sprecherin. Im Juni 2004 wurde sie Koordinatorin des Fachforums für Wirtschaft und Soziales, ein Jahr später Mitglied im Präsidium des Bundesausschusses des Jugendverbands. Und jetzt wurde sie ins Abgeordnetenhaus gewählt. „Man wächst mit den Aufgaben“, meint sie. Zielstrebig sei sie sowieso, und wenn sie etwas mache, dann eben nicht nur halb. Auch ihr Studium an der Humboldt-Universität will sie erfolgreich beenden. Genauso akkurat, wie sie ihre Sätze zu Ende bringt, bei denen man sich manchmal fragt, ob sie sich die bei den Älteren abgeschaut hat oder einfach nur wirklich so meint. Ihre Hände unterstreichen das Gesagte gestenreich. Macht man das so in der Politik? „Manchmal ist Politik schon Schauspiel“, weiß sie, „aber ich will ja eigentlich nur ehrlich sein. Und dass man mich versteht.“ Und ihr ist bewusst, dass es im Abgeordnetenhaus als neue und gleichzeitig sehr junge Abgeordnete nicht leicht sein wird. Da ist es also, das Generationenproblem. Auf den jungen Leuten laste sowieso ein enormer Druck, das spüre sie selbst. „Wir sollen studieren, zehn Sprachen sprechen, drei Praktika gemacht haben, im Ausland gewesen sein und zwischendurch auch noch Kinder kriegen.“ Der Druck kommt nun aus nächster Nähe: „Natürlich wird es nicht immer einfach, aber ich habe eben Ideale und Visionen.“ Die Umsetzungsweise ändere sich allerdings. Sie lerne, kleine Schritte zu machen, die großen Sprünge habe sie erst einmal aufgegeben. Und das schon mit 21.

Auch dass sie jetzt schon oft so spricht wie die alten Hasen, fällt ihr dabei wahrscheinlich kaum auf. Politikerdeutsch kann sie gut, da hat sie sich schon angepasst. Und wenn sie aus dem Redefluss kommt, legt sie die Hände auf den Tisch und sammelt sich. Oft muss Clara Herrmann erklären, was sie macht, zum Beispiel ihren Freunden oder ihren Eltern. Die Grenze zwischen Privatleben und Beruf seien fließend. Aber den Ausgleich brauche sie. Und auch die Möglichkeit, mal den Mund halten zu dürfen, „um nicht am Rad zu drehen.“ Genau wie ihr Zuhause: Berlin. „Die Berliner Arroganz ist natürlich nicht das Schönste, aber wenigstens kann ich hier anziehen, was ich will, und werde nicht schief angeguckt“, sagt sie und spielt mit dem kleinen Widderanhänger ihrer Kette. Widder wollen mit dem Kopf durch die Wand, heißt es in Horoskopen. Durch die Wand wolle sie nicht, lieber um die Ecken schauen. „In Berlin gehst du eine Straße weiter und bist ganz woanders“, beschreibt sie ihr Heimatgefühl. Vor allem das Klackern der S-Bahn auf den Schienen liebe sie so. Vielleicht weil es so stetig drängelnd ist wie sie selbst. Nicht unangenehm laut, aber doch insistierend.

Das muss sie sein, wenn sie ernstgenommen werden will. Immer noch müsse man als Frau öfter beweisen, was man so kann und weiß. Die Redewendungen der Politik spuckt sie schon gekonnt aus. Aber die Übungszeit Wahlkampf ist jetzt vorbei. Und Clara Herrmann redet viel von Projekten, wirft mit Zahlen um sich, Daten und Namen weiß sie auswendig. Aber man muss schon nachfragen, wenn man etwas verständlich erklärt haben will. Und sie trinkt einen Schluck, bevor sie die politischen Phrasen einmal umdreht und von innen erklärt. Dass sie nämlich in ihrem Umfeld erlebe, warum es eine andere Bildungspolitik braucht. Und dass es ihr eine Herzenssache sei, sich gegen rechts zu engagieren. „Eine neue Form von Armut“ entdecke sie auf ihren Wegen durch die Stadt, „eine, in die man einfach so hineingeboren wird.“ Sie wolle die Menschen nicht alleine lassen. „Es geht halt nicht ohne die, die Politik wirklich betrifft. Deswegen mache ich das doch“, sagt sie und setzt sich die Sonnenbrille wieder ins Haar.

Von der Unsicherheit, die die Jugend im Allgemeinen und Clara Herrmann als jüngste Abgeordnete nun im Speziellen inne hat, will sie sich nichts anmerken lassen. Aber in den Momenten der Ruhe, des Überlegens und der Pause kommt man näher an sie heran als sonst. Sonst ist sie die Clara Herrmann von den Grünen, resolut und fachkundig, engagiert. Die mit der Faust auf dem Tisch. Und wenn der Vorhang fällt, ist sie Clara aus Berlin, die gerade dabei ist, ihre Ideale einzuholen. Und die hoffentlich nicht an ihnen vorbeiläuft. In Berlin muss man eben wissen, was man will. Und vor allem, wohin.