Wut auf Sparflamme

Öffentlich-rechtliche Bedenkenträger: Die Verschiebung des umstrittenen ARD-Spielfilms „Wut“ – ausgerechnet während der Integrationsdebatte – auf einen späteren Sendeplatz erregt die Gemüter

VON STEFFEN GRIMBERG

Kaum hebt – mit der in Deutschland offenbar eingebauten Verspätung um mindestens ein halbes Jahrzehnt – die Diskussion um die Integration von Aus- und InländerInnen und die Debatte um die Rolle des Islam richtig an, kracht es im kulturellen Gebälk:

In Berlin wird Mozarts Oper „Idomeneo“ wegen potenzieller Gefährdung durch radikale Islamisten abgesetzt, und die ARD verbannt den kritischen, weil an den fahlen Dogmen der Political Correctness rüttelnden Film „Wut“ ins Spätprogramm.

In Sachen Musiktheater steht die bildungsbürgerliche Republik seit Mittwoch Kopf. Zu Recht übrigens, selbst wenn sich die Posse beinahe wie ein Schrei nach Aufmerksamkeit einer Berliner Intendantin im Mozartjahr ausnimmt. Oder im N24-„Rechts-Links“-Talk Bayerns CSU-Innenminister und scharfer Hund Günther Beckstein allen Ernstes gefragt wird, ob man die Aufführung der Oper, in der mit den Häuptern von Religionsführern und sonstigen Heiligen jongliert wird, am Bayerischen Staatstheater nun nicht geradezu erzwingen müsse. Aber geschenkt.

Doch woher kommt es, dass die öffentliche Empörung über die Verschiebung des ARD-Films „Wut“ dagegen auf Sparflamme kocht? Denn sie ist mindestens genauso Skandal. Und zeigt, woran es in der Integrationsdebatte vor allem mangelt – an einem bisschen mehr Mut, Aufrichtigkeit und Risikobereitschaft.

Man war deshalb ja beinahe bereit, der ARD die Sonderzahlungen für einen gestürzten Radsporthelden namens Jan Ullrich und diverse andere Merkwürdigkeiten zu verzeihen, weil sie diesen Film zur Hauptsendezeit in ihr Erstes Programm genommen hatte.

In „Wut“ bedrängt Can, der drogendealende Proll mit türkischem Migrationshintergrund, eine saubere deutsche Familie der oberen Mittelschicht, komplett mit Sohnemann („feinsinniger Teenager“, ARD-Pressetext) und bildungsbürgerlichem Professoren-Papa. Am Ende schlägt deren liberale Hilfslosigkeit in Wut und Hass um – auf Gewalt folgt Gewalt.

Egal wie klischeebeladen und schlecht der Film sein mag (Rezension siehe flimmern und rauschen): Es war ein Anfang, auf wesentlich breitere Wirkung angelegt als viele ähnliche Stoffe des ZDF. Denn dort werden sie fast ausschließlich in der herausragenden Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ verhandelt, die vom ängstlichen Mainzer Comment aber für alle Zeiten auf zuschauerschwache mitternächtliche Sendetermine verbannt zu sein scheint. Dagegen „Wut“: 20.15 Uhr im Ersten, gleich nach der „Tagesschau“ – da, wo sonst gerne Herzschmerz der ARD-Filmrechtetochter Degeto („Mutterglück“) läuft – relevanter geht’s nimmer.

Doch wie immer setzten sich bei der ARD am Ende die Bedenkenträger durch, unter wohlfeiler Berufung auf den Jugendschutz – der einzigen in Deutschland zulässigen Zensurmöglichkeit. „Die ARD ist gebunden an den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“, gab der ARD-Vorsitzende und Bayerische Rundfunk-Intendant Thomas Gruber zu Protokoll: „Das und nur das“ sei der Grund, „weshalb ‚Wut‘ nicht vor 22.00 Uhr im Ersten gezeigt werden kann.“ Auch wenn der Westdeutsche Rundfunk, der „Wut“ produziert und redaktionell abgenommen hat, das anders sieht: Man habe sich „gründlich mit Aspekten des Jugendschutzes befasst“, so der stellvertretende WDR-Intendant Lutz Marmor. Ergebnis: „Bei einem gesellschaftlich relevanten Thema ist es gerechtfertigt, an Grenzen zu gehen“, zudem habe es die von Gruber insinuierte „einheitliche Beschlussfassung“ der ARD-Jugendschützer, den Film erst um 22.00 Uhr zu zeigen, „nicht gegeben.“ – Es gärt in der ARD, immerhin. Die Wahrheit dürfte wie so oft in der Mitte liegen: Ja, „Wut“ ist krass, abstoßend und geht sicherlich bis an die Grenze. Ohne Grenzüberschreitungen kann eine wirklich weiterführende Diskussion aber nicht stattfinden, sei es über Jugendgewalt an Schulen, Integration oder Islamisten. „Wut“ ist von daher bitter nötig.

Gegen eine zusätzliche Diskussionsrunde mit Filmemachern und Politikern, wie sie jetzt nach „Wut“ läuft („Tatort Schulweg – Hilflos gegen Jugendgewalt?“, 23.30 Uhr), ist ja nichts einzuwenden. Doch auch sie hätte im Anschluss an den ursprünglichen Sendeplatz des Films am Mittwoch wohl ein paar mehr ZuschauerInnen gehabt.

Statt „Wut“ lief da übrigens „Paradies in den Bergen“, ein Pseudo-Heimatfilm um gestresste Großstädter, denen es auf bäuerlicher Scholle am Ende wieder so richtig gut geht. Integration kann eben so leicht sein, zumindest, wenn man das Erste machen lässt.

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