die taz vor 16 jahren: paul virilio über cnn vor beginn des golfkriegs
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Die wirkliche Streitkraft, die im Golf eingreift, ist das Fernsehen. Genauer gesagt: CNN, der Fernsehsender aus Atlanta. Neben Saddam Hussein und George Bush ist Ted Turner mit von der Partie.

Die Kunst der Diplomatie bestand darin, die Worte genau abzuwägen, meistens um nichts zu sagen. Daraus ist nun die Kunst geworden, Bilder gegeneinander abzuwägen. So verfolgt beispielsweise George Bush heute permanent CNN, das zu einem seiner wichtigsten Kommunikationskanäle geworden ist, schneller als die üblichen diplomatischen Verfahren. Das geht so weit, daß ihn die Fernsehauftritte Saddam Husseins beunruhigen und er sich darüber Gedanken macht, ob die Ausstrahlung dieses oder jenes Interviews des irakischen Staatschefs opportun ist.

Handelt es sich noch darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, zu überzeugen? Sicher nicht, denn dem Bild der Direktübertragung geht es nicht um Überzeugung, höchstens um Emotion, eine gewisse Angst. Die Aufmerksamkeit jedes einzelnen zu fokussieren, zu lenken - damit wird nach und nach die Zeitlichkeit der Bevölkerungen reorganisiert. Es geht nicht so sehr um ihre Meinung, sondern um ihre Zeiteinteilung. Das Bild der Direktübertragung ist ein „Filter“, nicht im räumlichen Sinne, durch die Bildeinstellung, sondern vor allem im zeitlichen Sinne: es ist eine monochronischer Filter, der nur die Gegenwart passieren läßt. Das hat nichts mit Filmanalyse zu tun, nichts mit der üblichen Kritik der Fernsehgewohnheiten, sondern wir sind hier mit einer videoskopischen Technik konfrontiert, mit einer Logistik der Wahrnehmung, die uns alle nach und nach vereinnahmt. Es ist also überflüssig, die Frage zu diskutieren, was die „Information“ noch von der „Propaganda“ unterscheidet, diese Frage ist schon nicht mehr aktuell, denn die aktive - interaktive - Desinformation besteht nicht in der Lüge, sondern im Übermaß widersprüchlicher Informationen, in der Überinformation. taz vom 29. 9. 1990