Nationalistische Zuspitzung in Bosnien

Vor den Wahlen in Bosnien und Herzegowina am kommenden Sonntag punkten bei den bosnischen Muslimen und bei den bosnischen Serben die jeweiligen Scharfmacher. Hoffnungen auf eine Überwindung der ethnischen Grenzen schwinden

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Zunächst schien die Kampagne für die Wahlen am 1. Oktober in Bosnien und Herzegowina glatt zu verlaufen. Doch jetzt ist die politische Atmosphäre aufgeheizt. „Manche Politiker benehmen sich, als stünden wir vor einem neuen Krieg“, wundert sich der Herausgeber der Wochenzeitung Dani, Senad Pecanin. Ethnische Spannungen würden geschürt, die wirklichen Probleme des Landes wie Arbeitslosigkeit und Korruption seien jetzt an den Rand gedrängt. Die 2,7 Millionen Wahlberechtigten des seit dem Kriegsende 1995 zweigeteilten Landes, der bosnischen Serbenrepublik (Republik Srpska) und der bosniakisch-kroatischen Föderation, stimmen am Sonntag über die Zusammensetzung des Parlaments des Gesamtstaates, der Teilrepubliken, der Kantone und die Präsidentschaft ab.

Schuld am atmosphärischen Wechsel seien vor allem zwei Politiker, meint der Vorsitzende des Helsinki-Komitees in Bosnien, Srdjan Dizdarević: „Der Vorsitzende der Partei für Bosnien und Herzegowina, Haris Silajdžić, und der Vorsitzende der serbischen Sozialdemokraten, Milorad Dodik. Haris Silajdžić, der ehemalige bosnische Premierminister während des Kriegs, weil er im Frühjahr die neue, für Bosnien wichtige Verfassung zu Fall gebracht hat; Dodik, weil er mit der Loslösung der serbischen Teilrepublik aus Bosnien und Herzegowina droht.“

In der Tat war das Scheitern des Verfassungsprojekts im Frühjahr ein Rückschritt für das Land. Die neue Verfassung sollte die im Friedensabkommen von Dayton (1995) geschaffene komplizierte Struktur des Staates vereinfachen, der Gesamtstaat sollte gegenüber den Teilstaaten gestärkt werden und das Amt nur eines einzigen Präsidenten geschaffen werden. Alle Parteien, auch die serbischen, hatten dem Kompromiss schon zugestimmt. Doch Silajdžić verhinderte dann das Zustandekommen der notwendigen Zweidrittelmehrheit, weil er auf der Auflösung der Teilrepubliken bestand. Die völlige Auflösung der „Republika Srpska“ aber wollten die serbischen Parteien nicht hinnehmen. Im Gegenzug begann der serbische Sozialdemokratenführer Dodik mit einer Kampagne für eine Volksabstimmung über die Loslösung der serbisch dominierten Teilrepublik aus Bosnien.

Beiden Politikern gelang es mit ihrer harten Linie, bei den nationalistischen Kreisen ihrer jeweiligen Volksgruppen zu punkten. Dodik und seine Sozialdemokraten können am Sonntag mit 60 Prozent der serbischen Stimmen rechnen. Und Silajdžić ist aus dem Schatten der bisher größten muslimischen Partei SDA (Partei der demokratischen Aktion) herausgetreten. Ihm gelang es, die höchste religiöse Autorität der bosnischen Muslime, den Reis-ul-Ulema Mustafa Cerić, auf seine Seite zu ziehen.

Noch im letzten Jahr hatte das Parteienspektrum in Bosnien und Herzegowina begonnen, sich in positiver Weise von den alten nationalen Fronten zu differenzieren. So spaltete sich von der Nationalpartei der Kroaten, der „Kroatischen Gemeinschaft“ (HDZ) der liberale Flügel ab und begründete die HDZ-1990. Bei den Serben schienen die nationalistischen Kräfte auf dem Rückzug zu sein. Und bei den Muslimen kristallisierten sich drei Lager heraus: Zur Silajdžić-Partei und zur SDA gesellten sich die bosnischen Sozialdemokraten (SDP), die sich als einzige Partei glaubwürdig als multiethnisch definiert und in allen Landesteilen vertreten ist.

Der Vorsitzende der SDP, Zlatko Lagumdžija, hoffte noch vor wenigen Monaten auf eine Allianz der sozialdemokratischen Parteien quer durch die ethnischen Gruppen. Er wäre sogar bereit gewesen, Dodik den Vortritt bei der Besetzung des Postens des Ministerpräsidenten zu lassen. Doch mit dem Schwenk Dodiks hin zum Nationalismus ist die Bildung einer solchen Koalition fast unmöglich geworden.

Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft im Lande, Christian Schwarz-Schilling, ging noch vor Kurzem davon aus, sein Amt würde im Juni nächsten Jahres abgeschafft. Jetzt rudert er zurück: Unter bestimmten Umständen müsse über eine Verlängerung des Mandats nachgedacht werden, erklärte er am Mittwoch. Bisher hat der Hohe Repräsentant das Recht, Gesetze zu erlassen und jeden Politiker im Lande zu entlassen.