portrait
: Weichensteller des Weltsozialforums

Porto Alegre, Januar 2003: Vor der Eröffnung des dritten Weltsozialforums (WSF) tagt das höchste Gremium der Bewegung, der Internationale Rat. Es geht ums Eingemachte: Soll die südbrasilianische Stadt für 2004 erneut den Zuschlag bekommen und damit das Monopol als „Mekka der GlobalisierungskritikerInnen“? Aus nicht ganz uneigennützigen Gründen ist die lateinamerikanische Mehrheit dafür. Für Bombay sprechen die indischen Delegierten – und der gesunde Menschenverstand.

Das Zünglein an der Waage ist der Diskussionsleiter, ein graubärtiger Brasilianer. Auch er hätte nichts gegen ein weiteres Heimspiel. Doch ihm dämmert, dass das Prinzip der „Horizontalität“ auf dem Spiel steht, für das er sich immer stark gemacht hat. Auf dem WSF sollen weder ein „Zentralkomitee“ entscheiden noch Mehrheiten, findet Chico Whitaker Ferreira, der drei Jahre zuvor einer der „Erfinder“ des Forums war. Und er bekniet die widerborstigen Latinos so lange, bis sie sich beugen: Die Megaveranstaltung zieht nach Bombay.

Nicht zuletzt wegen dieses Fingerspitzengefühls hat der 75-Jährige gestern den Alternativen Nobelpreis erhalten – der Vorschlag dafür kam aus Indien. Zur Zeit des Militärputschs 1964 war der studierte Architekt und Städteplaner in der brasilianischen Regierung für Fragen der Landreform zuständig. 1967 wurde er ins Exil gezwungen. In Chile erlebte er als UN-Funktionär den Staatsstreich gegen den Sozialisten Salvador Allende. Anschließend leitete er in Paris ein Menschenrechtsprojekt, das Diktaturopfer in aller Welt vernetzte.

Inspiriert hat den Katholiken die Befreiungstheologie. 1982 wurde er zu einem engen Mitarbeiter von Erzbischof Paulo Evaristo Arns in São Paulo. Dort wohnt der vierfache Vater bis heute. Nach seiner Zeit als Stadtrat für die Arbeiterpartei PT setzte er sich gegen Korruption ein. Im Auftrag der Bischofskonferenz leistete er die Vorarbeit für ein Gesetz gegen den Stimmenkauf, das 1999 verabschiedet wurde.

Seinen Preis begreift der Weichensteller und Theoretiker der Weltbürgerbewegung als Stärkung der „Idee, dass echte Veränderung nur von unten nach oben funktionieren kann“, wie er der taz sagte. Gerade in der lateinamerikanischen Linken setze sich dieser Gedanke nur sehr langsam durch, bedauert Whitaker: „In Brasilien haben wir lange den großen Fehler begangen, einfach nur passiv zuzusehen, was die Regierung Lula macht – oder auch nicht.“ Anfang dieses Jahres verließ er die PT, weil die „zu einer Partei wie jede andere geworden ist“. Mehr denn je liegt für ihn die Alternative im „Engagement in der Zivilgesellschaft“. GERHARD DILGER