Bremen ist spitze – bei der Jugendhilfe

KINDER 60 von 1.000 Kindern in Bremen sind in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht – das sind deutlich mehr als in anderen Großstädten. Über die Hintergründe weiß man im Sozialressort aber wenig

Geschickt kaschiert die Sozialbehörde, dass sie nach wie vor keine genaue Idee hat, wie sie Kosten der Jugendhilfe in den Griff bekommen will:

■ „Grundsätzlich ist und bleibt die Entwicklung sozialräumlicher Strategien zum einzelfallübergreifenden Aufbau einer nachhaltig wirksamen, sozial- und bildungspolitisch tragfähigen Angebotsstruktur für Kinder, Jugendliche und Familien in benachteiligten Quartieren eine zentrale ressortübergreifende Herausforderung, für die es neue gemeinwesenorientierte Strategien zu entwickeln gilt.“ (taz)

Rund 730 Bremer Kinder und 119 Volljährige leben nicht in ihren Familien, sondern „fremdplatziert“ in Heimen oder ähnlichen Unterkünften. Weitere rund 550 Kinder sind in Pflegefamilien untergebracht. In Durchschnitt entstehen pro Kind für die Heim-Unterbringung Kosten von rund 4.000 Euro im Monat. Das geht aus einer Aufstellung des Sozialressorts hervor.

Die Unterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie ist der Extremfall von Jugendhilfe – der „Normalfall“ soll „ambulante“ Hilfe für Familien sein, die bei der Kindererziehung Unterstützung brauchen. Insgesamt beanspruchen 60 von 1.000 Kindern staatliche Hilfe – also schätzungsweise 6.000 in Bremen. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – 2007 waren es nur 33 von 1.000.

Vergleicht man Bremen mit anderen Großstädten, dann zeigt sich fast überall eine steigende Tendenz. In Berlin, Dortmund oder Frankfurt – die 2007 deutlich über den Bremer Werten lagen – steigt die Zahl betreuter Kinder deutlich an, liegt aber mit rund 50 Fällen pro 1.000 Kinder unter dem Bremer Niveau. In Dresden oder Köln sind die Hilfefälle zahlenmäßig stabil und auf einem deutlich niedrigeren Niveau.

Die besonderen Bremer Steigerungsraten setzen sich indes fort. Beim Zuwachs der Heimunterbringung liegt Bremen aber „nur“ auf Platz zwei, hinter Berlin: 19 von 26 neu hilfebedürftigen Kinder erhalten so genannte „ambulante“ Hilfen, wohnen also weiterhin bei ihren Eltern. Eine Heimunterbringung dauert im statistischen Durchschnitt anderthalb Jahre.

Über die Hintergründe des überdurchschnittlichen Anwachsens von Betreuungs- und Hilfe-Fällen gibt es in dem Bericht des Sozialressorts keinen Hinweis – klar ist aber, dass nach dem Tod von Kevin in den Ämtern für soziale Dienste das Kosten-Argument eine geringere Rolle spielt. Früher wurde zum Beispiel vorab festgelegt, wie viele Heimunterbringungen ein Stadtteil im Jahr veranlassen kann – die „Casemanager“ mussten „Fremdplatzierung“ vermeiden, wenn sie ihre Zahl erschöpft hatten.

Der Vorrang ambulanter Hilfe vor Heimunterbringung gilt auch für drogenabhängige Eltern. Da ist auch besondere Kontrolle angebracht – etwa ein Drittel der Kinder suchtkranker Eltern werden selbst süchtig. In Bremen wurden 2009 insgesamt 32 substituierte Mütter und Väter mit Kindern unter einem Jahr betreut, hat der Staatsrat des Sozialressorts, Hermann Schulte-Sasse, mitgeteilt. In sechs Fällen seien die Kinder im Laufe des Jahres anders untergebracht worden. Rechnet man diese Zahlen hoch, dann leben in Bremen schätzungsweise 300 Kinder bei „substituierten“ Eltern. Die CDU hatte dies in der vergangenen Woche infrage gestellt, als die Sozialbehörde mitteilte, dass in einzelnen Fällen in Haarproben von Kindern Drogen-Spuren gefunden wurden. In allen Fällen hatten die Ärzte attestiert, dass die Mütter keine Drogen nehmen – offenbar werden bei den Ärzten falsche Urinproben abgegeben, in einem Fall die des Kindes. Als einziges Bundesland ordnet die Sozialbehörde in Bremen bei Verdachtsfällen auch Haaranalysen der Kinder an. So waren die derzeit diskutierten Fälle „aufgeflogen“. Bei längeren Haaren lässt sich auch Drogenkonsum nachweisen, der länger zurück liegt.

Um die Kosten der Jugendhilfe in den Griff zu bekommen, wird seit längerem über eine verstärkte Zusammenarbeit mit den sozialen Angeboten im Stadtteil diskutiert. Passiert ist da bisher aber nichts. kawe