Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Dass unterm Lametta nicht selten der Horror herrscht, diese alte Weihnachtswahrheit fällt uns alljährlich kurz nach den Sommerferien wieder ein, wenn sich bei Aldi die ersten Paletten mit den Lebkuchen stapeln. Eine der subversivsten aller freien Theaterformationen (und eine der lustigsten) ist das Interventionsgeschwader Gob Squad, das im Trubel vorweihnachtlicher Konsumanfachung berühmte Filmtode nachgestellt und zu einer Videoperformance verarbeitet hat. Für „Live Long And Prosper“ verwandeln sich die enormen Rolltreppen im Hauptbahnhof nun zu den Gebirgsschluchten, in denen einst Westernhelden zu Tode kamen. Im Discounter „Pfennigland“ steht das Raumschiff Enterprise wieder auf. Gezeigt wird die Videoarbeit am Freitag im HAU 2. Tödlich verlief auch manches Amazonenleben. Erst recht, wenn zuvor die Sicherheitsinteressen vom Faktor Liebe aufgeweicht worden waren. Einen solchen Fall behandelt Kleists Tragödie „Penthesilea“, die Felicitas Brucker nun im Maxim Gorki Theater inszeniert, und zwar mit einigen der stärksten Spielerinnen des Hauses: Anja Schneider in der Titelrolle, Julischka Eischel und Ninja Stangenberg. Von geschlossenen Systemen und dem Versuch, zumindest mental einen Ausgang zu finden, handelt „Kuckucksnest“, ein Projekt von Krzysztof Minkowski, Dirk Moras und der Pankower JVA für Frauen, das Freitag im Ballhaus Ost zu sehen ist. Die Arbeit geht von der Frage aus, ob Freiheit nicht im Kopf beginnt, und zu welchen Bedingungen Resozialisierung inmitten von Desorientierung, Gewaltbereitschaft und Depression überhaupt möglich ist. Im Deutschen Theater ist Sonntag und Montag Nicolas Stemanns ebenso gefeierte wie umkämpfte Hamburger Inszenierung von Lessings „Nathan, der Weise“ zu Gast, den er mit Elfriede Jelineks Texts „Abraumhalde“ zum Toleranzalbtraum verschweißt hat.

■ „Live Long And Prosper“: HAU 2, Freitag

■ „Penthesilea“: Maxim Gorki Theater, ab Mi

■ „Kuckucksnest“: Ballhaus Ost, Freitag

■ „Nathan, der Weise“: Deutsches Theater, So/Mo