„Wir sind keine Wohltäter“

Ob ein Land, die Bundesrepublik oder Private die Wohnungen bewirtschaften – sie haben das gleiche InteresseKleine bis mittlere Wohnungen werden nachgefragt. Der Mietpreis ist entscheidend

INTERVIEW ANNIKA JOERES
UND HOLGER PAULER

taz: Herr Hegel, Herr Tappe – sie sind für 100.000 Wohnungen in NRW verantwortlich. Wie leben Sie denn?

Tappe: Ich habe ein kleines Häuschen im Grünen.

Hegel: Ich habe ein kleines Häuschen auf dem Land.

Dann sind sie von der anstehenden Privatisierung der LEG-Wohnungen nur beruflich betroffen.

Tappe: Die Privatisierung an sich ist ja nichts Negatives. Wir haben kein Alleinstellungsmerkmal, was die Bewirtschaftung von Wohnungen angeht. Ich komme aus Essen, und dort kümmern sich eine ganze Reihe von Immobiliengesellschaften vorbildlich um ihre Klientel, sie organisieren zum Beispiel die Katernberger Konferenz. Wir brauchen langfristig orientierte Investoren, das ist der Kern. Wohnungen sind langlebige Güter. Investitionen wirken sich in der Rendite erst nach mehreren Jahren aus.

Was kann der Staat denn besser als Private?

Hegel: Das ist eine polarisierende Frage. Die private Wohnungswirtschaft ist natürlich per se an Gewinn orientiert. Das schließt aber soziale Aspekte überhaupt nicht aus. Das Thema der Privatisierung ist nicht schwarz-weiß zu sehen. Sie unterstellen, dass ein privater Unternehmer nicht sozial handeln kann.

Wir stellen nur die Frage.

Hegel: Auch eine Landesgesellschaft muss aus den Wohnungen heraus Erträge erwirtschaften, um am Markt zu bestehen. Dafür muss sie modernisieren und investieren können. Auch eine Landesgesellschaft muss Marktmechanismen nutzen, Kredite aufnehmen, Wohnungen an- und verkaufen. Der soziale Aspekt spielt bei einem öffentlichen Unternehmen dieselbe Rolle wie bei einem privaten: Beide wollen die Wohnungen langfristig vermieten können, deswegen müssen sie an schwierigen Standorten für stabile Nachbarschaften sorgen. Ob ein Land, die Bundesrepublik oder Private, sie haben das gleiche Interesse.

Gibt es also keinen Unterschied zwischen Vermietern?

Hegel: Doch. Theoretisch kann die öffentliche Hand immer einspringen, wenn dann doch einmal nicht genügend Geld da ist. Und der Staat muss Wohnraum für ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen bereitstellen: Zum Beispiel für Aussiedler oder für Hartz-IV-Empfänger. Das kann der Staat aber auch über Belegungsrechte bei privaten Vermietern regeln. Dafür braucht er nicht eine eigene Gesellschaft.

Sie befürworten die Privatisierung. Was kann denn ein Unternehmen besser als der Staat?

Tappe: Das ist eine Diskussion, die nicht losgelöst vom historischen Zeitpunkt geführt werden sollte. Als die großen Wohnungsbaugesellschaften nach dem Krieg entstanden sind, hatten wir eine große Wohnungsknappheit. Heute ist der Markt gesättigt, es gibt insgesamt keine Wohnungsnot mehr, und der Staat ist heute in seinen Investitionsmöglichkeiten stark beschränkt. Heute ist es sinnvoll, solche Aufgaben nicht mehr nur staatlich zu lösen.

Ein Unternehmen hat den Vorteil, dass es flüssig ist.

Tappe: Flüssig und flexibel.

Wer kann gewährleisten, dass ein Investor nicht erst einmal die Sozialcharta unterschreibt und später dann doch die Leute raussetzt und die Mieten erhöht? Er ist doch flexibel!

Hegel: Das ist unrealistisch. Es ist unrealistisch, dass ein Unternehmen so plötzlich seine Politik ändert. Der Mietmarkt ist schwerfällig, er entwickelt sich relativ langsam. Deshalb sind Wohnungen auch ein hoch begehrtes Wirtschaftsgut, weil sie stabil sind. Wenn ein Unternehmen seine Standorte vernachlässigt, fliehen die Mieter, das kann es sich nicht leisten. Sicher, es gibt auch kurzfristig orientierte Investoren, die von vornherein ankündigen, dass sie Bestände nur drei, vier Jahre halten wollen. Da besteht die Gefahr einer Unterbewirtschaftung. Aber traditionelle, langfristig orientierte Unternehmen tun das nicht.

Es gibt großen Widerstand: Eine Volksinitiative will den Verkauf verhindern.

Hegel: Das Land hat sich immer wieder bekannt, in jeder Äußerung wiederholt, dass es bei der Privatisierung großen Wert darauf gelegt, Mieterinteressen und die Beschäftigteninteressen zu beachten. Es ist keine bedingungslose Privatisierung. Der Volksinitiative fehlt in der Argumentation insoweit die Substanz. Man sollte sich davor hüten, Mietern und Mitarbeitern Angst zu machen.

Die Ängste vorm Rausschmiss oder einer Mieterhöhung sind also unbegründet?

Hegel: Selbst wenn ich es wollte, könnte ich die Miete jeweils innerhalb von drei Jahre nur um 20 Prozent erhöhen. Bei öffentlich geförderten Wohnungen geht selbst das nicht, hier gibt es Mietobergrenzen. Und es gibt sogar Standorte, an denen heute weniger Miete genommen werden muss, weil die Nachfrage gering ist. Dieser Mechanismus wird bestehen bleiben. Jeder Investor, egal wer es ist, kann nicht die Miete schlagartig erhöhen. Das gibt der Markt gar nicht her.

Tappe: Es ist natürlich, dass Mieter Angst bekommen, wenn der Eigentümer wechselt. Wohnen ist ein existenzielles Gut, da ist man drauf angewiesen, einen verlässlichen Vermieter zu haben. Deswegen kommt es auf den Käufer an.

Und, wie ist der Käufer?

Tappe: Das kann ich nicht kommentieren. Diese Frage wird heftig diskutiert. Wir glauben, dass es in Deutschland Investoren gibt, die für ein nachhaltiges Wirtschaften stehen.

Wer zum Beispiel?

Tappe: Ich will jetzt keine Namen nennen. Aber auch bei Unternehmen wie der Essener Allbau oder Ruhrkohle Immobilien fühlen sich die Leute sicher und wohl. Es gibt auch viele kleine private Vermieter. Wir werden sehen, wie sich die Politik entscheidet.

Ein Gutachten soll klären, wie privatisiert werden soll. Welche Kriterien wird es geben?

Hegel: Eine Sozialcharta wird die Bedingungen festschreiben. Wenn das Gutachten vorliegt, entscheidet das Kabinett der Landesregierung über eine Option des Gutachtens. Was darin steht, ist Spekulation.

Was wünschen Sie sich denn?

Tappe: Wir brauchen langfristig orientierte Investoren. Uns ist auch wichtig, dass die Größe erhalten bleibt. Ein kleines Wohnungsunternehmen mit 5.000 Wohnungen hat natürlich nicht die Kraft, zum Beispiel auch ein Wohnumfeld zu sanieren, Projekte zu starten, aber auch, an dem ein oder anderen Standort abzureißen. Das kann nur ein großes Unternehmen verkraften. Außerdem müssen wir unsere Sparten erhalten, unsere breite Kompetenz um das Thema Stadt.

Welche Rolle spielt denn die demographische Entwicklung für ihre Wohnungspolitik?

Hegel: Der demographische Faktor wird aus unserer Sicht immer oft überschätzt. Wir werden in Nordrhein-Westfalen trotz sinkender Bevölkerungszahlen mehr Wohnraum benötigen. Es gibt mehr Einzelmieter, die größere Wohnungen wollen. Im Augenblick liegen wir bei einer durchschnittlichen Quadratmeterzahl von 40 pro Person, das wird auf 50 ansteigen.

Tappe: Der Bevölkerungsschwund hat letztlich ökonomische Ursachen. Die Menschen leben dort, wo sie arbeiten können.

Trotzdem wird es aber doch Gewinner und Verliererregionen geben, zum Beispiel gewinnt das Rheinland im Vergleich zum Ruhrgebiet.

Hegel: Auch im Ruhrgebiet werden immer Menschen wohnen. Unser Interesse ist es, dort die richtigen Bestände anbieten zu können.

Was ist denn für den Mieter in Zukunft wichtig?

Hegel: Es ist wichtig, arbeitsmarkt- und stadtnah zu wohnen. Und es muss Grünflächen geben, Freiraum zwischen Häusern. Kleine bis mittlere Wohnungen werden nachgefragt, günstige Wohnungen. Der Mietpreis ist entscheidend.

Tappe: Da muss ich kein Prophet sein: Das Budget des Einzelnen wird immer kleiner. Wir brauchen gute Angebote im preiswerten Segment. Wir haben dort bereits tolle Siedlungen.

Hegel: Ein Beispiel: In Monheim haben wir eine Siedlung mit 30.000 Mietern aus 28 Nationen, die Wohnungen sind alle günstig. Da hören sie nichts von Problemen. Ich war dort vor kurzem auf einem Straßenfest, der Mieterbeirat hat das Fest zum 28. Mal eröffnet. Wir organisieren auch selbst solche Feste, das hält die Mieter.

Wird es denn auch das 29. Straßenfest geben?

Tappe: Das versprechen wir. Aber das wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind nicht die Wohltäter der Nation. Das alles sind rein betriebswirtschaftliche Entscheidungen, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Und nicht, weil wir eine Landesgesellschaft sind.