Opulente Leere

THEATER Nach 30 Jahren bringt das Theater Bremen wieder einmal den umstrittenen Botho Strauß auf die Bühne – wieder ist es „Groß und klein“. Doch das als „Klassiker“ gehandelte Stück hat uns nichts zu sagen

Es ist mehr als 30 Jahre her, dass Botho Strauß im Bremer Theater gespielt wurde. Das ist insofern bemerkenswert, als der Dramatiker unter den Zeitgenossen anderswo einer der Meistgespielten ist. Aber noch kein Grund, sein Werk jetzt hier auch noch auf den Spielplan zu setzen.

Damals, Ende der Siebziger, Marcel Reich-Ranicki hatte gerade große Lobeshymnen auf den jungen Strauß angestimmt, damals also inszenierten sie hier schon mal „Groß und klein“. Aber da war das Stück ja neu. Inzwischen fällt in seinem Zusammenhang stets das Wort „Klassiker“. Umso drängender ist die Frage: Was hat es uns heute noch zu sagen? Die Antwort: Nichts. Jedenfalls nicht in der Fassung, die jetzt im Neuen Schauspielhaus Premiere feierte. Die Inszenierung von Regisseurin Mirja Biel vermag dem Text nichts Neues abzugewinnen. Sie ist statisch, schal. Und erschöpft sich in Äußerlichkeiten.

Inhaltlich geht es in dem fragmentarisch angelegten Werk um die Einsamkeit des Individuums in der modernen Gesellschaft, um zerrüttete Beziehungen im weiteren Sinne, vor allem aber um die weit verbreitete Unfähigkeit, aufrecht anteilnehmend miteinander zu kommunizieren. Zehn Episoden lang wird dabei die Geschichte einer arbeitslosen und in Scheidung lebenden Grafikerin namens Lotte erzählt, eine Frau von Mitte Dreißig.

Dass es zugleich ein Stück über „völlig unpolitische Menschen in völlig unpolitischen Zusammenhängen“ ist, wie der Dramaturg Carl Hegemann es einmal formulierte, ist noch kein Verlust. Schon weil Strauß ein intellektueller Vordenker der Neuen Rechten ist. Gleichwohl ließe sich „Groß und klein“ etwas grundsätzlich Kapitalismuskritisches abgewinnen. Oder eine Milieustudie. Oder man könnte Lottes Züge des Wahnhaften ganz ernst nehmen. Oder man könnte den Text aus dem Analog-Zeitalter radikal modernisieren und für das internetbasierte Leben im Digitalen fortdenken. Und so weiter.

Aber diese Inszenierung entscheidet sich für die schlechteste aller möglichen Alternativen. Sie macht nichts von alledem. Und setzt voll und ganz auf bildliche Einfälle. Etwa auf ein Bühnenbild, was – immerhin: geschickt – zwischen Wartehallen-Atmosphäre und dem gebürsteten Edelstahl-Ambiente eines Upper Class-Anwesens changiert. Im Hintergrund laufen immer wieder „Kraftwerk“ und „Fehlfarben“, Videos kommen zum Einsatz, dazu eine Dia-Show, aber auch Schnee und Nebel, elektrische Jalousien und alte Kassettenrekorder. Und doch bleibt die Geschichte, die Aussage, die sie haben könnte, merkwürdig fremd unter diesem Panoptikum an szenischen Ideen. Daran können auch gute SchauspielerInnen wie Irene Kleinschmidt in der Rolle der Lotte letztlich nichts mehr ändern.

Diese Inszenierung kann das Stück nicht ins Heute retten, es ist in dieser Form, wiewohl erst 30 Jahre alt, letztlich antiquiert. Wenn diese Neubesichtigung von „Groß und klein“ also am Ende doch eine irgendeine Aussage haben kann – dann ist es die der Entzauberung eines vermeintlichen Klassikers.

JAN ZIER

Heute sowie am 31. Oktober sowie 14. und 26. November im Neuen Schauspielhaus