Croissanterie
: Positive Ausstrahlung

Sein Stichwort lautete: „Glas“

Es ist über zehn Jahre her, dass ich einige Zeit in der Sonnenallee Ecke Weichselstraße wohnte, in einem Haus, in das später Cem Özdemir einzog. Nun war ich wieder in dieser Ecke. Nicht wegen Özdemir, der lebt längst woanders. Die Rückkehr zur ehemaligen Wohnstätte hatte was von einem Ritual. Wobei die Bedeutung ganz woanders lag. Ich wollte Marie treffen, eine Uralt-Freundin, die nach ihrem Bachelor-Kunststudium in Paris nach Berlin gezogen war. Kaum war das Laken in der WG aufgezogen, hatte sie schon ihren ersten Job: in der Croissanterie in der Pannierstraße, einem netten kleinen Bistro mit Eifelturm und „Toutes directions“ und „Autres directions“-Schildern an den Wänden.

Nachdem ich der Neuberlinerin einige Minuten zugeschaut hatte, kam ein junger Mann herein, ein Altberliner, den ich von vor Ewigkeiten von irgendwo her kannte. „Sag nichts“, sagte ich. „Gib mir nur ein Stichwort.“ Sein Stichwort lautete: „Glas.“ Ein Glasauge hatte er nicht. Es stellte sich heraus, dass er mal in der Bar „Babette“ schräg gegenüber vom Kino „International“ gearbeitet hat. Der ehemalige DDR-Friseursalon ist aus Glas. Nachdem wir uns auf den neuesten Stand unserer Leben gebracht hatten, widmete ich mich wieder der Croissanterie.

Dabei fiel mir eine leicht versteckte Urkunde mit Grammatikfehlern, aber interessantem Inhalt auf. „In Würdigung besonderer Verdienste in dem Gebiet der positiven Aus-Strahlung haben das Team der Croissanterie den Sieg erreicht“, schrieb „Der Prüfungsausschuss“. Die am 27. Februar 2007 ausgestellte Urkunde zierte das Wappen der DDR. Verliehen worden war sie vom „Verein exportierender Zeugen khaotischer Erfahrungen und Rituale“. Da steckte eine alte Frau ihren Kopf zur Tür herein: „Braucht zufällig jemand einen Jogginganzug für 12,99 Euro, Größe 48/50?“ So viel zu Erfahrungen und Ritualen.

BARBARA BOLLWAHN