: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Kaum bei Captain Petzel eingetroffen, stürmen drei Rotzlöffel im Karacho die weitläufige Halle und das Tiefgeschoss. An der Informationstheke treffen wir aufeinander. Fragt der Sprecher der Gruppe: „Warum gibt’s hier so viele nackte Frauen?“ Tja, warum? Keiner weiß es so recht. Bis er fortfährt: „Das turnt mich extrem an. Ich muss mir sofort einen runterholen.“ Womit die Frage dann beantwortet wäre. Die Vorlagen jedenfalls, nach denen John Stezaker (Jg. 1949) seine Siebdrucke hergestellt hat, Fotos aus Freikörperkulturbroschüren der 1930er und 40er Jahre, lassen da keine Zweifel. Und Stezaker holt aus der wollüstigen Oberfläche raus, was rauszuholen ist. Allerdings tut er das auch bei der Struktur der Baumrinde, dem dominanten Element anderer Serien. Der Anblick von Baumrinde aber dürfte nur in den seltensten Fällen zu einem Steifen führen. Da ist also schon viel Ironie und viel Lust am Kruden in Stezakers Kunst. Kein Wunder, dass er – lange vergessen – inzwischen als wichtiger Impulsgeber der Young British Art gilt und von Charles Saatchi oder auch Don and Mera Rubell gesammelt wird.
Ich hätte die Jungs zu Esther Schipper schicken sollen, da hätten sie ganz anders gestaunt. Über die Versuchsanordnung in Christoph Kellers Video „Verbal/Nonverbal“ und die daraus resultierenden Gefühls- und Körperregungen. Einzeln oder zu zweit sitzen die Versuchspersonen in einem Bürostuhl und atmen mit einem Luftballon am Mund ein und aus, wobei der Ballon auf- und abschwillt. Bald entspannen sich ihre Gesichtszüge, manche lachen lauthals, andere versuchen das krampfhaft zu unterdrücken, wieder andere drängt es zu reden. Von Kontroll- beziehungsweise Bewusstseinsverlust handeln auch die weiteren Videos, die Keller zeigt. Raffiniert erzeugte Situationen im Grenzbereich von Kunst und naturwissenschaftlichem Experiment.
■ John Stezaker: Silkscreens; bis 30. Oktober, Di.–Sa. 11–18 Uhr; Captain Petzel, Karl-Marx-Allee 45 ■ Christoph Keller: Verbal/Nonverbal; bis 13. November, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Esther Schipper, Linienstraße 85
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