Intergalaktischer Kopfbahnhof

SCIENCE-FICTION In „Per Anhalter durch die Galaxis“ wird die Erde für eine Weltraumstraße plattgemacht und das Irre im Irdischen gezeigt. Ein Remake anlässlich von Stuttgart 21

„Bewohner Stuttgarts, herhören. Hier spricht M. Appus vom Merkelaktischen Hyperraum-Planungsrat“

VON BORD DER „HERZ AUS GOLD“ STEFFEN GRIMBERG

Weit draußen in den unerforschten Einöden eines total aus der Mode gekommenen Ausläufers des südwestlichen Spiralarms der Berliner Republik liegt unbeachtet eine kleine deutsche Landeshauptstadt, deren vom Affen abstammende Bioformen dicke Autos mit Stern auf der Motorhaube noch immer für eine tolle Erfindung halten und stolz darauf sind, „alles außer Hochdeutsch“ zu können.

Diese Landeshauptstadt, ihre Bewohner nennen sie Stuttgart, hat – oder besser hatte – ein Problem: einen Kopfbahnhof. Zur Lösung dieses Problems wurden viele Vorschläge gemacht, aber die drehten sich meistens um das Hin und Her kleiner bedruckter Papierscheinchen, von denen dann immer mehr gebraucht wurden. Und das ist einfach drollig, weil es im Großen und Ganzen ja nicht die kleinen bedruckten Papierscheinchen waren, die ein Problem mit dem Kopfbahnhof hatten.

Und so blieb das Problem bestehen. Vielen Menschen ging es schlecht, den meisten sogar miserabel, vor allem denen, deren besternte Autos mit dem Kennzeichen der Landesregierung fuhren.

Und eines Tages dann, kurz bevor Heiner Geißler von Bahnchef Rüdiger Grube fast an einen versehentlich stehengebliebenen Baumstamm im Schlossgarten genagelt worden war, weil er gesagt hatte, wie fantastisch er sich das vorstelle, wenn es während der Schlichtungsgespräche einen Bau- und Vergabestopp gäbe, kam ein Mädchen, das ganz allein im Café Königsbau saß, plötzlich auf den Trichter, was die ganze Zeit so schief gelaufen war, und sie wusste endlich, wie die Welt mit dem Kopfbahnhof gut und glücklich werden könnte. Diesmal hatte sie sich nicht getäuscht, es würde funktionieren, und niemand würde dafür an irgendwas genagelt werden müssen.

Nur brach traurigerweise, ehe sie auf Facebook gehen und allen davon twittern konnte, eine furchtbar dumme Katastrophe herein, und die Idee ging für immer verloren. Dies hier ist nicht die Geschichte dieses Mädchens. Es ist die Geschichte dieser furchtbar dummen Katastrophe und einiger ihrer Folgen. Doch die Geschichte dieses furchtbar dummen Tages, die Geschichte seiner bemerkenswerten Folgen und die Geschichte darüber, wie unentwirrbar diese Folgen mit den Konsequenzen für die Berliner Republik verknüpft sind, beginnt ganz einfach.

Sie beginnt mit einem Bahnhof.

Der stand auf seinem Gleisbett mitten in der Innenstadt. Er stand schon lange da und blickte über den weiten Schlossgarten zur Villa Reitzenstein. Absolut kein bemerkenswerter Bahnhof – er war ungefähr 88 Jahre alt und hatte Seitenflügel und einen Turm, denen es nach Größe und Proportionen mehr oder weniger misslang, das Auge zu erfreuen.

Die Morgensonne schien hell und klar auf diesen Bahnhof – zum letzten Mal, wie sich bald herausstellen sollte. Es war den Stuttgartern immer noch nicht richtig klar, dass die Stadt, die baden-württembergische Landesregierung und die Deutsche Bahn AG ihn abreißen und an dieser Stelle einen Tiefbahnhof bauen lassen wollten. Am Abend, nach Protest, Schülerdemo und Pfefferspray- wie Wasserwerfereinsatz, fiel eine plötzliche Stille auf Stuttgart. Womöglich war sie noch schlimmer als der Krach. Ein Weile passierte überhaupt nichts.

„Bewohner Stuttgarts, bitte herhören“, sagte eine Stimme: „Hier spricht M. Appus vom Merkelaktischen Hyperraum-Planungsrat“, fuhr die Stimme fort. „Wie Ihnen zweifellos bekannt sein wird, sehen die Pläne zur Entwicklung der Außenregionen unserer Schnellverkehrsrepublik den Bau einer Hyperraum-Expressroute vor. Und bedauerlicherweise sind Ihr Bahnhof, der Schlossgarten und das lumpige Gelände dahinter welche von denen, die gesprengt werden müssen. Das Ganze wird weniger als zwei Ihrer Schwabenminuten in Anspruch nehmen. Danke.“

Der Endverstärker verstummte.