Alles neu in Düsseldorf

Der Druck ist enorm. Amélie Niermeyer überlässt den Start am Schauspielhaus Shakespeare und ihrem leitenden Regisseur Stephan Rottkamp. Der inszeniert einen modernisierten „Othello“

VON REGINE MÜLLER

Sie hat die Latte so hoch wie möglich gelegt. Die Pläne von Amélie Niermeyer, der neuen Intendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses, sind ehrgeizig. Alles soll neu, besser und jünger werden in der Landeshauptstadt, wo Anna Badoras letzte Spielzeit, die mit Jürgen Goschs „Macbeth“ furios begann, sich nur noch müde schlurfend ins Ziel retten konnte. Dem Erwartungsdruck trat Niermeyer von Anfang an mit offensivem Gegendruck entgegen und signalisierte Kampfbereitschaft gegen Bedenkenträger, Gestrige und Theatermuffel.

Erst einmal ließ sie das mürbe gewordene Gestühl des Großen Hauses herausreißen und sicherte die Finanzierung für die Erneuerung durch Stuhlpatenschaften. Dem edlen Spender winkt zum Dank eine Namensplakette auf dem Sitzmöbel. Gebräuche dieser Art kennt man von privat finanzierten Boulevardbühnen – aber auch vom Konkurrenten Bochum. Der problematischen Akustik wurde mit Schallsegeln nachgeholfen, die Technik erneuert und aufgerüstet, die Gastronomie ausgewechselt und das Foyer durch neues Licht aus seinem Dämmerschlaf gerissen, eine neue Spielstätte für Experimentelles in direkter, sozial brisanter Nachbarschaft zum Hauptbahnhof ist in Arbeit.

Tabula Rasa auch im Spielplan. Die einzige Übernahme – Jürgen Goschs „Macbeth“ – erfordert den raschen Aufbau eines neuen Repertoires, das gleich zu Beginn ein Premierenfeuerwerk beschert. Bis auf Wenige wurde auch das Ensemble komplett ersetzt und der Altersdurchschnitt signifikant gesenkt. Ob das auch das Publikum verjüngt? All dies zu künden, ist die umtriebige Intendantin unablässig kommunizierend unterwegs und lässt sich als „dynamisch“ und „voller Energie“ beschreiben.

Ob dieser ostentativ vorgetragene Mut auch den heißen Kern des Unternehmens, die künstlerische Substanz trägt, ist noch nicht ausgemacht. Die erste Premiere lässt Zweifel aufkommen. Als Visitenkarte der neuen Ära ließ Niermeyer demonstrativ ihrem leitenden Regisseur Stephan Rottkamp den Vortritt, bevor sie sich mit Canettis „Hochzeit“ selbst als Regisseurin vorstellt. Man darf Rottkamps „Othello, Venedigs Neger“ also als ästhetischen Wegweiser lesen. Shakespeare‘s Tragödie um Eifersucht und rassistische Ausgrenzung spielt bei Rottkamp in der Gegenwart und benutzt mit Werner Buhss‘ Übersetzung eine maßvoll aktualisierte Textfassung. Quadratische Kästchen strukturieren Robert Schweers Bühne. In Venedig öffnen sich in einer senkrechten Wand wie in einem Adventskalender die Türchen, auf dass jeder ordentlich seinen Text aufsagen kann. Das Verfahren ist witziger, als es klingt, es schafft Tempo. In Zypern wölbt sich ein pastellblauer Wölkchenhimmel, parzelliert in Kästchen, als Horizont vor Sandstrand und Wassergraben. Als „Jago“ – Patrick Heyn spielt ihn im Westentaschenformat – in „Othello“ erstmals Misstrauen weckt, poltert das erste blaue Kästchen aus dem Rundhorizont heraus und bringt einen Luftballon zum Platzen. Aus Misstrauen wird Eifersucht, Raserei und vielfacher Mord – die Kästchen fallen krachend hinterher.

Die Tragödie entwickelt sich beiläufig aus einer Partylaune heraus. Am Strand, „zu Gast bei Freunden“, feiert man eine coole Barcardi-Party, doch der Rassismus, der schwelt natürlich schon längst in der Runde, bevor er sich Bahn bricht. Felix Klares „Othello“ ist gar nicht schwarz, aber man provoziert ihn leicht mit Baströckchen, Banane und schwarzer Schuhcreme. Smart ist dieser Othello, Autorität und Dominanz eines Feldherren gehen ihm jedoch gänzlich ab, was seine Fallhöhe kläglich verkürzt. Gleiches gilt für alle Protagonisten, die von Rottkamp maniriert auf Lounge-Temperatur reduziert werden: Kathleen Morgeneyers hibbelig einfältige „Desdemona“, Michele Cucioffos hitziger Cassio, Jean-Luc Bubert zum Trottel verkleinerter „Rodrigo“. Mangels Binnenspannung und Tiefenschärfe überlässt Rottkamp gerne längeren Musikstrecken die Arbeit, die aber laut, grob und lieblos aneinander geklebt sind. Der Abend zieht sich. Dennoch großer, schnell verebbender Jubel. Abwarten.

Karten: 0211-369911