Schocks nicht nur für dicke Fische

Der in Bremen erfundene „Taser“ darf nun auch hier von der Polizei verwendet werden – um Schusswaffengebrauch zu vermeiden. Kritiker warnen: Die Schwelle zur Gewaltanwendung sinkt

von Christian Jakob

Eigentlich war er zur Wal-Jagd gedacht. Am 30. März 1852 meldeten die Bremer Ingenieure Albert Sonnenburg und Philipp Rechten eine „verbesserte Methode zum Fang von Walen und anderen Meerestieren“ zum Patent an. Mit einer Elektroschock-Harpune sollten die unhandlichen Säuger möglichst verletzungsfrei gelähmt und so leichter an Bord von Schiffen gezogen werden können.

Etwa 120 Jahre später fiel dem amerikanischen Waffenkonstrukteur John Cover auf, dass sich die Bremer Erfindung ebenso gut gegen renitente menschliche Zeitgenossen einsetzen lässt. Cover meldete eine Erweiterung des Sonnenburg-Patents an. Die unter dem schmissigen Namen „Taser“ von ihm entwickelte Elektroschock-Pistole wurde seitdem weltweit viele tausend Mal verkauft. Sechs Exemplare gingen nun auch an Spezialeinheiten der Bremer Polizei.

Aus einem Taser werden zwei Nadeln mit isolierten Drähten abgefeuert, die eine elektrische Spannung von bis zu 50.000 Volt auf die Zielperson übertragen. Die Nadeln sind mit Widerhaken versehen und sollen im Körper des Opfers stecken bleiben. Sie müssen nach dem Einsatz ärztlich entfernt werden. Der entstehende Elektroschock lähmt das Nervensystem der Zielperson und macht sie für etwa eine Minute bewegungsunfähig. Das Opfer kann noch mehrmals unter Strom gesetzt werden. Wegen der hohen Stromdichte an den Einstichstellen ist der Einsatz Berichten zufolge für das Opfer mit „extremen, quälenden Schmerzen“ sowie Brandwunden verbunden. Der Hersteller behauptet, die Waffe rufe keine bleibenden Schäden hervor. Inwieweit Gefährdungen für Jugendliche, Personen unter Drogeneinfluss oder mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehen, ist jedoch stark umstritten.

Nach einer Anpassung des Bremer Polizeigesetzes sowie der entsprechenden Waffenverordnung ist der Einsatz des Tasers seit kurzem auch Spezialeinheiten der Bremer Polizei gestattet – als das „mildere Mittel zur scharfen Schusswaffe“, wie es in der Verordnung heißt. Polizeisprecher Dirk Siemering zufolge sind kürzlich zu Testzwecken verschiedene Taser-Modelle angeschafft worden.

SPD-Innenexperte Hermann Kleen sieht in dem Taser die Möglichkeit, in unmittelbaren Gefahrensituationen den Einsatz der sonst notwendigen Schusswaffe zu vermeiden. Eine Entwicklung wie in den USA, wo der Taser massenhaft auch bei Streifenkontrollen eingesetzt wird, befürchtet Kleen nicht. „Wir haben den Taser ausdrücklich nur für Spezialeinheiten zugelassen“. Diese liefen nicht Streife und seien entsprechend geschult. Für einen Einsatz beispielsweise auf Demonstrationen hätte er „überhaupt kein Verständnis“. Letztlich liegt jedoch die Entscheidung über den Taser-Einsatz im Einzelfall bei der Polizei – näher spezifiziert wird das Einsatzgebiet in der Verordnung nämlich nicht.

Für Horst Göbel, den Bremer Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, ist das kein Problem. Man müsse den Beamten die Freiheit lassen, situationsgemäß zu reagieren, so Göbel. Im Übrigen würden Spezialeinheiten „meistens“ zur Bekämpfung von Schwerkriminalität – etwa Geiselnahmen – eingesetzt. Befürchtungen, der Taser könnte bei Kontrollen oder Demonstrationen zum Einsatz kommen hält Göbel daher für „sehr gewagt“. Ausschließen, so sagt Göbel, könne er allerdings „gar nichts“.

Der innenpolitische Sprecher der Bremer Grünen, Matthias Güldner, sieht das anders. „Erstens gibt es vielfältige Einsatzgebiete von Spezialeinheiten – auch auf Demonstrationen.“ So sei der kürzlich in die Schlagzeilen geratene „Dunkelbrillen“-Einsatz bei Krawallen im Hamburger Schanzenviertel von einer Bremer Spezialeinheit durchgeführt worden. „Und zweitens kann der Innensenator die Verordnung auch wieder ändern und den Einsatz ausweiten“. „Beunruhigend“ nennt Güldner Berichte von Amnesty International, denen zufolge seit 2001 allein in den USA über 70 Menschen gestorben sind, gegen die mit Tasern vorgegangen wurde. Die genaue Todesursache konnte in vielen Fällen allerdings nicht geklärt werden.

Gegen die Taser-Anwendung bestünden laut Güldner auch in anderen Bundesländern Vorbehalte. So hätten Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein auf die Anwendung der Elektroschock-Pistole verzichtet. Nachdem im Februar 2005 ein mutmaßlicher Selbstmörder nach einem missglückten Taser-Angriff durch ein SEK in Panik von einem Dach sprang, hatten zwischenzeitlich auch die Länder Berlin und Brandenburg den Einsatz der Waffe gestoppt.

Amnesty International kritisiert eine niedrigere Hemmschwelle zum Gewalteinsatz gegenüber Schusswaffen durch die scheinbare Harmlosigkeit des Tasers und verweist auf entsprechende Fälle in den USA. Dort wurden Taser bereits gegen widerspenstige Schulkinder, unbewaffnete geistig verwirrte oder betrunkene Menschen, Verdächtige, die vom Ort eines Kleinverbrechens fliehen, und Personen, die sich mit Polizisten streiten oder nicht unmittelbar ihren Befehlen gehorchen, eingesetzt.