Diesseits der Bronx

Keine Underground-Veranstaltung: Nahezu 4.000 Tänzer aus mehr als 30 Nationen kämpften bei der HipHop-WM zum fünften Mal in Bremen um die Titel. Aus den USA, dem Mutterland des Ganzen, trauten sich nur wenige teilzunehmen – aus Angst vor Terroranschlägen

Die meisten Teilnehmer kommen aus gut behüteten Elternhäusern und haben HipHop in der Tanzschule kennen gelernt

von DOROTHEA AHLEMEYER

Noch einmal die Schultern kreisen lassen, Hose hochziehen, Mütze auf. Zlotan Oláh und Peter Asotia rüsten sich zur „Battle“. Um sie herum ein Ring aus Zuschauern, mitwippende Füße, Köpfe im Takt von 120 Beats pro Minute. Ein letzter Blickwechsel aus zusammengekniffenen Augen. Dann gibt der Moderator im weißen Ganzkörperanzug das Zeichen.

Zoltan startet mit provokanten Tippelschritten. Peter winkt ab und streckt lässig die Brust raus. „Es ist wie Schach“, sagt er. „Du fragst dich: Schicke ich meine Bauern oder komme ich gleich mit der Dame.“ Der noch amtierende Weltmeister entscheidet sich für den großen Knall, er reagiert auf Zoltans Performance mit einer Schraube, wie man sie vom Eiskunstlaufen kennt – nur verkehrt herum: mit dem Kopf auf dem Boden. Der drum herum stehende Ring johlt.

Unten ist oben in bei der fünften Hip-Hop-WM in Bremen. Hier läuft alles ein bisschen anders als bei gewohnten Weltmeisterschaften. Marschieren die Nationen ein, wird nicht mit Fahnen, sondern mit Körperteilen gewedelt und die meisten davon stecken in Tanktops und Baggy Pants, nicht in landesfarbigen Trikots. Alles ist bunt, alles ist in Bewegung und manche Siegerehrung endet in einer kleinen Spontan-Performance zur Nationalhymne.

Insgesamt sind in den fünf Tagen seit dem 27. September 28 Wettkämpfe ausgetragen worden. Tänzer zwischen drei und 63 Jahren traten in den Kategorien Breakdance, HipHop und Electric Boogie gegeneinander an. Zum Teil in Gruppen bis zu 150 Leuten, zum Teil als Solisten wie Peter und Zoltan, die im K.o.-System aufeinander trafen. Im Zwiegespräch wirbeln beide die Arme, Beine und Köpfe durch die Luft, man verliert den Überblick über die Körperteile. „Das Geile am HipHop? Es gibt kaum Regeln,“ sagt Peter. „Stell dir eine tanzende Schildkröte und eine Katze vor. Beim Breakdance haben beide eine Chance, sie müssen einfach ihre Stärken clever einsetzen.“

Die Stils und Standards der einzelnen Ländern unterscheiden sich wie ihre Outfits. Es gibt sonnenbebrillte Tschechen in spacigem Roboteraufzug, Südafrikaner in Armeehosen, Kanadier im Bob-Marley-Shirt. Mit 710 Aktiven stellten die Deutschen die größte Gruppe. Die wichtigsten Wettkämpfe fanden am Wochenende statt. In den jungen Altersstufen dominierten die Teams aus Osteuropa, wo Gymnastik und Tanzunterricht traditionell bereits in den Kindergärten gefördert wird. Umso überraschender der deutsche Doppelsieg im Breakdance durch Ersen Shalyani aus Lörrach vor Waldemar Müller aus Lübbecke. Aus norddeutscher Sicht war der Vizeweltmeistertitel der 16-jährigen Laura Pacholski aus Bremen bei den Frauen das wichtigste Ergebnis. Die amtierende Deutsche Meisterin unterlag im Finale nur knapp der 18-jährigen Lucette August aus Südafrika.

Überraschend spärlich vertreten waren die USA, das Vaterland des HipHop. „Die sagten mir am Telefon: In Europe is war,“ erzählt Michael Wendt, Vizepräsident der International Dance Organisation (IDO), dem Träger der Veranstaltung. Ihnen sei es zu gefährlich zu kommen. „Wegen der Bombenanschläge in London und dem Libanon.“ Selbst wenn sie angereist wären: Die US-Tänzer wären kaum aus jenen New Yorker Ghettos gekommen, in denen HipHop in den späten 70er Jahren entstand – als Bewegung aus Rap, Graffiti, DJ-Handwerk und, eben, aggressiv-akrobatischem Tanz.

Die Bronx scheint weit entfernt von der Bremer Bürgerweide. Hier kommen die meisten Teilnehmer aus gut behüteten Elternhäusern und haben HipHop – nach einer Ballett- oder Jazzdance-Ausbildung – in der Tanzschule kennen gelernt. Allein die selbst zu tragenden Reise- und Unterbringungskosten hätten viele überfordert, die auf der Straße und nicht im Verband tanzen. Die Südafrikaner haben sich ihr Hotel sogar mit Fußballstar Ronaldinho geteilt, der zum Champions-League-Spiel gegen Werder im Lande war. Werden an der Weser wirklich die Besten gekürt? „Die im Underground bezweifeln das. Aber wir reden von zwei verschiedenen Paar Schuhen,“ sagt der holländische Kampfrichter Mars Bentum, der Deutschland vor allem als Tourtänzer von DJ Bobo kennen gelernt hat. „Straßen-HipHop ist kreativer, Tanzschul-HipHop technisch versierter.“

Peter ist einer der wenigen, der beide Seiten kennt. Weil für Kampfsporttraining kein Geld da war, fing er mit 15 an, in Pforzheimer Tiefgaragen zu breaken. Über Auftritte in Jugendzentren kam der Halbghanaer schließlich zu ersten Jobs als Tanzlehrer und trainiert, inzwischen 27, in einer Profi-Ausbildung auch Walzer und Tango.

Aber sein Herz schlägt weiter für den HipHop, für die 120 Beats pro Minute. Und gingen auch im Viertelfinale die Daumen der drei internationalen Richter für Peter diesmal nach unten. Die Deutschen im Ring haben trotzdem gejubelt und Zoltan aus Ungarn machte seinem Kontrahenten Komplimente auf einer Sprache, die hier jeder versteht: Man spricht Breakdance.