Atmosphärenschlachtfest

KRAWALL-BLUES Spannung, Beklemmung und Gewalt: Nick Cave spielt mit seiner Band „Grinderman“ Musik, die Böses beschwören will – aber mit Herz und Seele

Caves Kunst, egal ob Buch oder Musik, sehnt sich stets nach Liebe und Hoffnung

VON MICHAEL SAAGER

Männer um die 50 bringen brav das Geld nach Hause, trinken mit alten Schulfreunden ab und zu einen über den Durst und erinnern sich dabei an „wilde“ Zeiten. Am Wochenende gehen sie zum Fußball, nach Feierabend zur Modelleisenbahn hinunter in den Keller wie zu einer Geliebten, die sie nicht haben. So ist das Leben.

Eines müssen sich solche Männer nicht sagen lassen: Dass sie nicht erwachsen geworden wären. Anders der 1957 im australischen Warracknabeal geborene Nick Cave. Steckt angeblich fest in einer Midlife-Crises, regrediert gar zum halbstarken Jugendlichen, hantiert rum mit allerlei Virilitätsfantasien, begreift einfach nicht, wo sein altersgemäßer Platz ist, der Mann. Und lacht sich hoffentlich halbtot, wenn er solche Sachen über sich lesen muss. Zuletzt wieder eine Menge davon, denn vor ein paar Wochen ist das zweite Album von Caves zähnefletschender Krawall-Blues-Band „Grinderman“ erschienen.

Krach schlagen – ewiges Privileg der Jugend? Würde man einem Free Jazzer nie mit kommen. Aber Cave und seine „Bad-Seeds“-Mitstreiter Warren Ellis (Violine, Gitarre), Bassist Martyn Casey und Schlagzeuger Jim Sclavunos pfeifen eh drauf, lassen auf John Hillcoats Videoarbeit zu „ Heathen Child“ B-Movie-Monster zu Explosionen tanzen und scheinen auch sonst eine Menge Spaß während ihrer Studioetappen gehabt zu haben – drei Jahre nach dem Debüt „Grinderman“ .

Spannung, Beklemmung, Gewalt. Darum geht es laut Cave bei „Grinderman“. In den gewaltgetränkten, mitunter hübsch verrätselten, nicht selten pornografischen Texten sowieso, aber auch in der Musik mit all ihrer brutalen Brachialität und bebenden Boshaftigkeit. „Grinderman 2“ ist ein hart klirrendes, schmerzhaft schneidendes, dumpf bollerndes Atmosphärenschlachtfest mit einem gereizten, schreienden, grunzenden Cave am Mikrofon. Es ist Musik, die Böses beschwören will und das beinahe so überzeugend hinkriegt wie einst Herschell Gordon Lewis sein Splatterfilm-Kino drastisch, dabei aber nicht zuletzt an Bands erinnert, die gar nicht mal böse waren, sondern einfach nur sauhart; man denke an die manischen Noiserocker von „The Jesus Lizard“ oder die Grunge-Holzfäller „Tad“.

Nun wäre Cave nicht Cave, wenn bei all der Härte nicht auch Herz und Seele im Spiel wären. Das unterscheidet den Mann von den erbarmungslos bösen Jungs: Dass er immer auch hinauf will, in den Himmel, ins Licht. Dass sich Caves Kunst, gleich ob in Buchform oder als Musik, stets nach Liebe und Hoffnung sehnt. Und so gibt es auf „Grinderman 2“ ein paar Songs, die den eher zarteren Hörer mit der Galgenschlinge aus rostigem Stacheldraht um seinen Hals versöhnen dürften, allen voran das betörende „Palaces Of Montezuma“ – ein von melancholischem Männerchoral begleiteter Ohrwurm zum Mitwippen – und Tränen verdrücken.

■ Do, 21. 10., 20 Uhr, Docks, Spielbudenplatz 19