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Laufen lassen

Die Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) lud zu ihrem 40. Geburtstag zu einer Tagung über die „Berliner Schule“

Welch herzlich geringen Einfluss die Kritik auf die Filmlandschaft hat, kann man zurzeit an den Publikumszahlen des beinahe einhellig verrissenen „Parfums“ ablesen. Doch gibt es tröstliche Gegenbeispiele. Vor fünf Jahren hat der Filmkritiker Rainer Gansera in einer Rezension eher beiläufig von einer „Berliner Schule“ gesprochen, mittlerweile hat der Begriff solch eine Sogkraft entwickelt hat, dass selbst Hamburger, Wiener und Münchner unter ihm eingemeindet worden sind. Und obwohl niemand von den damit Angesprochenen sich so recht zu ihm bekennen will, sind dennoch alle gekommen, um zum Höhepunkt der Jubiläumswoche anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) in einem eintägigen Symposion der Frage nachzugehen: Was ist und was kann man von einer Berliner Schule lernen?

Schon die erste der beiden Fragen erwies sich als tückisch. Irgendwo zwischen Freundschaftsbanden, Arbeitszusammenhängen und filmästhetischem Programm wurde der Grundriss des Schulgebäudes kontrovers diskutiert. Wer dazugerechnet wurde, entwickelte nahezu automatisch das bekannte Allergiesyndrom gegen Etikettierungen, und also war die Abwehrreaktion gegen das Label der augenfälligste gemeinsame Nenner der anwesenden Filmemacher.

„Ich wünsche mir Entwicklungsmöglichkeiten statt Festschreibung“, brachte Christoph Hochhäusler („Falscher Bekenner“) sein Unbehagen auf den Punkt. Auch Henner Winckler („Lucy“) gestand seine Angst davor, durch ein Umhängeschild „zum Unterrichtsstoff für Studenten“ zu werden. Doch wollte er diese Skepsis nicht missverstanden wissen als Distanzierung von den anderen. So ist das mit den Schubladen: Keiner lässt sich gerne reinstecken, aber komfortabel gefüttert sind sie schon. Im rauen Klima des Filmgeschäfts sind Nestwärme und Zugehörigkeitsgefühl etwas, auf das man ungern verzichtet. Und dass Wiedererkennbarkeit schließlich auch einen Markenwert darstellt, der nicht zu unterschätzen ist, ist so selbstverständlich, dass es schon gar nicht mehr erwähnt wurde.

Zur Verständigung entwarf der Filmjournalist Bert Rebhandl eine „Minitheorie“ dessen, was auch seiner Ansicht nach „nur mit Vorbehalt“ eine Schule genannt werden kann. Am Grunde deren Filmsprache findet er eine Kompromissbildung zwischen Realismus und Distanzierung: Eine von den Erkenntnissen der Moderne getragene Bildskepsis trifft auf das emphatische Vertrauen, die Wahrheit werde im Bild erscheinen, wenn man es versteht, sie ihm abzulauschen. Das stellt Forderungen an den Zuschauer und seine Bereitschaft, in die Bilder zu investieren, etwa in der stark elliptischen Erzählweise von Angela Schanelecs „Marseille“.

Das hat auch Auswirkungen auf die Arbeit mit den Schauspielern. Die Berliner Schule hat keine Freude an der Psychologie, sie lässt keine Charaktere auftreten, sondern „Bresson’sche Modelle“. Den Schauspielern das Schauspielern austreiben, nannte das Bastian Trost, Hauptdarsteller in Benjamins Heisenbergs Film „Schläfer“. Dennoch, so Trost, würde es ihn und viele seiner Kollegen reizen, in solchen Filmen dabei zu sein.

Immer wieder Zuschreibung, Abwehr. Auf des Moderators Gretchenfrage, wie sie es denn mit dem Realismus ihrer Filme halte, bekannte Schanelec bündig, sie habe keinerlei Interesse an derlei Problemen. Ausgangspunkt ihres Arbeitens ist immer das fotografische Bild – und die Frage: „Entsteht etwas bereits, wenn ich die Kamera anmache? Und was entsteht, wenn ich die Kamera nicht mehr ausmache?“ Was eine schöne Erklärung für die – angeblich – langen Einstellungen in (nicht nur) ihrem Werk abgibt. Für Ulrich Köhler („Montag kommen die Fenster“) wiederum heißt Realismus schlicht, „über Dinge zu reden, die ich beobachte, die mir nahe sind“. Zugleich weist er jeden Anspruch auf Authentizität für seine Filme von sich.

Schade, dass über derart eifrig betriebenen Definitions-Fluchtversuchen die von Rebhandl aufgeworfene Frage: Wie eine Kontinuität entwickeln?, weitgehend missverstanden wurde. Denn der wichtigste Nachwuchsförderer des deutschen Films, das Kleine Fernsehspiel des ZDF, verfährt strikt nach dem Modell „three strikes and you’re out“: Gefördert wird man bis zum dritten Film, so lange gilt der Artenschutz und der fest eingeplante Sendeplatz montags um Mitternacht. Danach folgt wahlweise entweder „das echte Leben“ oder, wie jemand an anderer Stelle sagte, „das richtige Fernsehen“, was merkwürdigerweise dasselbe meinte. Rebhandls Fazit: „Das Projekt Berliner Schule liegt erst noch in der Zukunft“ heißt ja nichts anderes als: Seine wahre Bewährungsprobe steht noch aus. Wie die Filmemacher die günstigen Produktionsbedingungen, die sie als Newcomer vorfinden, sich auch für den vierten Film sichern könnten, wurde jedoch nicht beantwortet.

DIETMAR KAMMERER

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