die taz vor 20 jahren über die betriebsgenehmigung für den atommeiler brokdorf
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Die Schamfrist ist vorbei. Fünf Monate nach dem schwersten Unfall des Industrie-Zeitalters fühlt sich die Atomgemeinde stark genug, den Ausbau der Atomenergie in der Bundesrepublik fortzusetzen. Das Atomkraftwerk Brokdorf soll im Oktober ans Netz. Kein AKW in der Bundesrepublik war so umkämpft, keins ist so sinnlos.

Brokdorf steht als Symbol der Anti-AKW-Bewegung und als Prototyp energiepolitischer Fehlplanung mit riesigen Überkapazitäten und der verzweifelten Suche nach den Abnehmern des Atomstroms. Brokdorf – das war das Ende für den sozialdemokratischen Kurs des Hans-Ulrich Klose, und es ist jetzt der Anfang der neuen Dreistigkeit.

Alles redet vom Ausstieg – wir nicht. Das scheint die Devise der schleswig-holsteinischen Landesregierung zu sein. Für sie bedeutet Ausstieg nur noch das Aussteigen aus der wahltaktisch gebotenen Rücksichtnahme nach dem Fallout aus der Ukraine. Den Ausstieg gibt es nicht. Und selbst um den Status quo zu erhalten, reichte das Entsetzen über die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nicht aus. Statt dessen wird der Marsch in den Atomstaat fortgesetzt, geht ein ein weiterer Meiler ans Netz. Barschels Einschätzung ist richtig. Es wird in diesem Land keinen Aufstand geben. Die Legitimationskrise der Atommafia ist zwar noch nicht beseitigt, aber die Akzeptanz soweit wieder hergestellt, daß selbst am Standort der militantesten Kämpfe grünes Licht gegeben werden kann.

Kein anderes Land in Europa hat seit Tschernobyl ein AKW in Betrieb genommen. Auch hier ist Deutschland Atomweltmeister: Technologischer Kamikazeflieger zur Bewahrung der längst mißglückten Utopie vom gesegneten Atomzeitalter. Manfred Kriener, taz vom 2. 10. 1986