ÖVP verliert deutlich

AUS WIEN RALF LEONHARD

Mit einer echten Überraschung endeten die gestrigen Nationalratswahlen in Österreich. Eine Stunde nach Schließung der Wahllokale hatte die SPÖ relativ deutlich die Nase vorn. Bei einem Auszählungsgrad von zwei Dritteln der Stimmen verlor sie gegenüber 2002 nur 0,7 Prozent und konnte ihren Mandatsstand von 69 halten, während die derzeit regierende ÖVP mehr als 7 Prozentpunkte und 13 Mandate (von 79 auf 66) abgeben musste.

Der nächste Bundeskanzler wird also voraussichtlich Alfred Gusenbauer heißen. Als Regierungskombination kommt praktisch nur die große Koalition in Frage. Denn keine der kleineren Parteien allein würde die erforderliche Mehrheit von 92 Mandaten im Nationalrat mit 183 Sitzen bringen.

Der Kampf um Platz drei schien nach den ersten Projektionen offen – mit leichten Vorteilen für die FPÖ (11,1 Prozent). Die Grünen (10,3 Prozent) konnten zwar leicht zulegen und erreichten ihr Wahlziel, zweistellig zu werden, verfehlten aber einmal mehr das Ziel, die FPÖ zu überholen. Am dritten Platz hängt nicht nur Prestige, sondern auch ein Sitz im Präsidium des Nationalrats. Da ist es nur ein geringer Trost, dass sie in Wien mit 17 Prozent die FPÖ überholen konnten. Bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr gelang das nicht.

Überraschend ist auch, dass Jörg Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) allem Anschein nach in Kärnten das angepeilte Direktmandat holte und gleichzeitig die 4-Prozent-Hürde um den Hauch von 0,2 Prozentpunkten überspringen konnte. Der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin, der mit seiner Liste gegen die Brüsseler Bürokratie zu Felde gezogen war, blieb mit unter 3 Prozent weit hinter den günstigen Umfragen zurück.

In ersten Reaktionen erklärten die Parteigranden der ÖVP ihre Schlappe mit zu geringer Mobilisierung und der schwachen Wahlbeteiligung. Die „Leihstimmen“ der FPÖ, die der ÖVP vor vier Jahren ihren sensationellen Sieg verschafft hatten, sind wieder zurückgewandert und haben sich auf die rechten Parteien FPÖ und BZÖ verteilt. Das ergibt insgesamt zwar eine knappe Mehrheit rechts der Mitte, doch reicht diese Konstellation nicht, um Wolfgang Schüssel seinen Posten als Bundeskanzler zu erhalten.

Der ÖVP-Fraktionschef Wilhelm Molterer meint, viele hätten sich auf die Meinungsforschung verlassen. Die niedrige Wahlbeteiligung sei voll zu Lasten seiner Partei gegangen. Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer, ÖVP, der in seinem Bundesland mit den Grünen regiert, zeigte sich verwundert, dass die SPÖ angesichts des Bawag-Skandals nicht stärker bestraft worden sei.

Die gewerkschaftseigene Bank hat bei hochspekulativen Karibikinvestitionen Milliarden in den Sand gesetzt. Dieser Skandal brachte im März auch die Trendwende in den Umfragen. Denn bis dahin war die SPÖ konstant über 40 Prozent gelegen.

Erst in den letzten Wochen ist es Parteiobmann Gusenbauer gelungen, andere Themen zu besetzen und die bescheidenen politischen Erfolge der ÖVP zu thematisieren. Noch in den letzten Tagen hatte er den Wählern die umstrittenste Rüstungsbeschaffung der Zweiten Republik, 18 Eurofighter, in Erinnerung gerufen. Bisher hat die Regierung nicht einmal die kaufmännischen Details des Vertrages veröffentlicht. Deswegen vermutet die Opposition Schiebung bei der 2002 in letzter Sekunde umgeworfenen Typenentscheidung. Die SPÖ will aus dem teuren Vertrag so schnell wie möglich aussteigen.

Das offizielle Wahlergebnis wird erst Ende der Woche bekannt gegeben, wenn auch die etwa 10 Prozent Briefstimmen ausgezählt sind. Da kann durchaus noch das eine oder andere Mandat wandern. Dann wird Bundespräsident Heinz Fischer den Obmann der stärksten Partei mit Regierungsverhandlungen beauftragen.