Neustadt wird Altstadt

Pflaster macht für Behinderte und Radler Passieren der Leibnizplatz-Kreuzung zum Abenteuer: Selbstbestimmt Leben und ADFC protestieren, Bauamt lobt Charme des historisierenden Belags

von Benno Schirrmeister

Warum das alles immer so verkniffen sehen. Dafür gibt es doch gar keinen Grund. Es ist doch schön, dass Bremen endlich die Altstadtqualitäten des Leibnizplatzes entdeckt und sie konsequent ausbauen will. Durch Kopfsteinpflaster. Man kann es schon sehen. Dort, wo die Großbaustelle ein wenig aufgeräumter ist, prangen die huckeligen Granitblöcke. Umpf, umpf, stößt gerade, etwas weiter hinten, die Dampframme wieder ein halbes Dutzend ins Erdreich.

In nicht allzu ferner Zukunft werden Rollstuhlfahrer dort hängen bleiben, Passanten stolpern und Radfahrer stürzen. Das befürchten zumindest der Bremer Ableger des Vereins Selbstbestimmt Leben (SBL), eine bundesweite Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung, und der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club, kurz ADFC.

Deren Ärger über das, was hier im Entstehen begriffen ist, kann auch nicht dämpfen, dass streckenweise am Leibnizplatz durchaus nutzerorientiert gearbeitet worden ist – was das Aufkommen motorbetriebener Fahrzeuge angeht: „Es ist“, sagt Beiratssprecherin Susanne Martens, „eine reine Autokreuzung geworden.“ Wegeführung und Ampelstellung hatte das Gremium bereits bei der ersten Planvorstellung vor zwei Jahren moniert, vor einem Jahr die Bedenken wiederholt – das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) hat alles abgebürstet. „Schade“ sei das, so Martens, „eine vertane Chance“.

SBL-Vertreter Matthias Botter erinnert daran, dass gleichzeitig das städtebauliche Programm „barrierefreie Neustadt“ laufe – hier aber, in der Großbaustelle, „die alten Fehler einfach wiederholt“ würden: Die neu gestaltete Domsheide nennt er als Negativbeispiel. „Das birgt eine tierische Unfallgefahr“, so Botter: Wenn die kleinen Vorderräder des Rollstuhls beim Passieren der Schienen umschwenken, kommt es leicht vor, dass sie sich verhaken. „Und das bei dieser Verkehrsfrequenz.“ Ähnliches gilt laut ADFC für die berühmt-berüchtigte Sielwallkreuzung im Viertel. Dort fordert die Tramschienen-Huckelpisten-Kombination tagtäglich ihren Zoll: sechs Unfälle hat die Radlerlobby dort vor einem Jahr einmal als 24-Stunden-Durchschnittswert ermittelt. Baulich geändert hat sich seither nichts. Deshalb protestiert man jetzt, so lange die Baustelle noch offen ist. „Wir hoffen“, so Klaus-Peter Land vom ADFC, „das sich da noch etwas ändern lässt.“ Zumal es „keinen nachvollziehbaren Grund“ gebe, „warum hier dieses Pflaster hinmuss“.

Aber das kann nicht stimmen, schließlich ist es viel teurer, Kopfsteinpflaster zu verlegen, statt des fußschmeichelnden und reifenschonenden glatten Belags. Nicht in der Anschaffung – die Steine waren schon da, sie werden nur wieder verwertet – aber in der Wartung. Seit wann aber würde in Bremen Geld ohne nachvollziehbaren Grund ausgegeben? Na also. Die Gründe sind einerseits, dass wechselnde Schienenrandbefestigungen für die Straßenbahngesellschaft angeblich nicht vertretbar wären – was mit Blick auf die Pflasterung in anderen Stadtteilen nicht ganz nachvollziehbar ist. Andererseits beharrt das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) auf dem Altstadtcharakter des großen Neustadtknotenpunktes. Zwar sah der Leibnizplatz, historischen Fotografien zufolge, schon als dort vor 100 Jahren die große Backsteinschule gebaut wurde, eher nach Kreuzung als irgendetwas anderem aus. Aber Bilder sind oft gefälscht. Und dass rein architektonisch sein Platzcharakter kaum zu erahnen ist, lässt sich auch als Argument für das Pflaster verwerten: Vielleicht gelingt es ja den Granitblöckchen die lang entbehrte Altstadtplatz-Charme herbeizuzaubern. Und dann kommt ganz gewiss auch ein findiger Investor, der am lauschigen Eck zum Buntentorsteinweg einen Biergarten eröffnet – wegen der tollen Atmosphäre.