Das Klischee bedient

Hätte sich Claudia Roth in ihrer Autobiografie auf ihre meist geradezu niedlichen Schilderungen beschränkt – man hätte es ihr verziehen. Dass sie die entscheidenden Konflikte leugnet, dagegen nicht

VON ULRIKE WINKELMANN

Die Parteichefin der Grünen Claudia Roth legt ihre Autobiografie sicherlich nicht ganz zufällig zwei Monate vor dem Parteitag vor, auf dem sie im Amt bestätigt werden will. „Das Politische ist privat“, hat sie ihre „Erinnerungen für die Zukunft“ betitelt.

Doch sollte jemand nun danach suchen, was die Vorsitzende den Ihren nach sieben noch längst nicht verdauten Regierungsjahren für die kommenden Oppositionsjahre an Politischem für die Zukunft mitgeben möchte – bitte gleich bleiben lassen. Roth meint ihren Titel ernst. Ihre Tour über den eigenen Horizont ist tatsächlich privater Natur, und das heißt hier: ein durchaus selbstbezüglicher Mix aus Eindrücken und Meinungen, kapitelweise aufgehängt oft an einer für Roth prägenden oder beeindruckenden Person, mit der sie für das Gute und gegen das Böse kämpft.

Roth bekennt: Sie sucht „Authentizität“ in der Politik, und die dazu notwendige Energie bezieht sie aus einem offenbar unerschöpflichen Schatz an so emotional wie moralisch aufgeladenen Erfahrungen und Beziehungen. Gegen die „Sachzwanglogiken“ will Roth ihre „Werte und Antriebe“ setzen, „und in diesem Sinne glaube ich auch, dass das Politische persönlicher werden sollte“.

Eltern und Großeltern erziehen die 1955 geborene Claudia im tiefschwarzen Bayern bürgerlich-linksliberal, kunstliebend und großzügig: Wer wegen Winnetous Tod so bitterlich weint, darf einen Tag der Schule fernbleiben. Es folgen: die mythischen frühen Achtzigerjahre als Managerin von Ton Steine Scherben, ihre Anstellung als Pressesprecherin bei den Grünen, 1989 der Einzug ins Europäische Parlament. 1998 geht Roth in den Bundestag. Sie ist Menschen- und Bürgerrechtspolitikerin mit deutlichem Hang zum Einzelfall.

So begleitet sie die letzten Schritte der Brüder Karl und Walter LaGrand, zweier Deutscher, die in den USA wegen Mordes 1999 hingerichtet wurden, obwohl genug Gründe dagegen sprachen. Sie besucht Leyla Zana, die erste Kurdin im türkischen Parlament, dann eingesperrt, und gibt ihr im Gefängnis verbotenerweise ein Handy, damit Zana ihre Kinder anrufen kann.

Im Jahr 2000 zwingt sie in Afghanistan die Talibanführer, sich mit ihr, einer Frau, und das auch noch beim Essen, auseinander zu setzen. „Am Kopf des Tisches saß der Stellvertreter des Talibanchefs, in seiner Riesenhaftigkeit auch körperlich bedrohend. In meinem Kopf lief die Filmszene aus ‚Star Wars II‘, als Luke Skywalker vor Jabba the Hutt steht.“

Hätte Roth sich auf solche teils anrührenden, teils geradezu niedlichen Schilderungen beschränkt – man hätte ihr es nachgesehen, dass sie allesamt von eigenen Heldinnentaten handeln. Politiker können nicht anders.

Doch wird jedes konkrete Ereignis in einen gigantischen Wust von Moralpolitprosa gebettet. Die ermüdenden Reihungen von Gemeinplätzen sind irritierenderweise sogar weit schlichter als Roths verbaler Alltagsauftritt: „Solch ein Dialog setzt Offenheit und Respekt für den Anderen und das Andere voraus – und Verständigungsbereitschaft“. Oder: „Internationale Menschenrechtspolitik kann nur funktionieren im Dialog zwischen einzelnen Menschen, zwischen Geschlechtern und Gruppen, zwischen Völkern, Kulturen und Religionen …“

Das geht seitenweise so. Aktuelle Themen wie Datenschutz oder die Globalisierungsvorgaben von IWF und Weltbank tauchen dabei auf, werden aber derart oberflächlich dargestellt, dass die hierbei so fleißig arbeitenden Grünen-Fachgruppen aufseufzen dürften.

Apropos Parteichefin. Von Januar 2001 bis Ende 2002 und wieder seit 2004 führt Roth eine Partei an, die bis vor zehn Monaten an der Regierung beteiligt war. Doch hat sie ausgerechnet in diesen Jahren entweder nichts Erschütterndes erlebt, oder sie möchte niemand daran teilhaben lassen. Rot-grünes Wirken erschöpft sich bei Roth wesentlich im Zuwanderungsgesetz sowie den Kriegs- und Antikriegsentscheidungen: Kosovo, Afghanistan, Irak (problematisch – unvermeidbar – unser Verdienst). Ein Konflikt, den die Parteiführerin dabei selbst ausgefochten hätte, kommt überraschenderweise nicht vor.

Das ist leider nicht authentisch, sondern unglaubwürdig. Was aus Claudia Roths „Werten und Antrieben“ wurde, als die Grünen an der Regierung ihre von Roth postulierten höheren Maßstäbe beweisen mussten, das wäre privat wie politisch interessant gewesen. So aber hat Roth nur ihr eigenes Klischee bedient – von der Frau, die in ihrem Kampf ums Gute die „Sachzwanglogiken“ nicht etwa bewältigt. Sondern sie schlichtweg verdrängt.

Claudia Roth: „Das Politische ist privat. Erinnerungen für die Zukunft“. Aufbau Verlag, Berlin 2006, 240 Seiten, 19,90 Euro