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Ben Hechts Reportagen über das Berlin während der Revolution sind eine wunderbare Unverschämtheit

Niemand schrieb lakonischer und härter als Ben Hecht. Und fantasievoll bis an die Grenze des Unseriösen

Dieses Buch ist eine Unverschämtheit. Es heißt „Revolution im Wasserglas“ und versammelt die atemlosen Reportagen des wunderbaren Ben Hecht über das Berlin während der Revolution 1918/19. Dieses Buch ist vor 17 Jahren schon mal auf Deutsch erschienen – im Wolke Verlag unter dem Titel „Revolution in der Teekanne“. Sogar das lesenswerte Nachwort von Helga Herborth und Karl Riha ist exakt dasselbe. In der Ausgabe 2006 selbst findet sich aber noch nicht einmal ein Hinweis darauf, dass es schon publiziert wurde.

Das ist unverfroren, einerseits. Andererseits kann, wer Ben Hecht veröffentlicht, gar kein schlechter Mensch sein. Denn Ben Hecht, 1894 geboren, 1964 gestorben, war ein fantastischer Reporter. Und wohl der geschliffenste Drehbuchautor, der je für Hollywood gearbeitet hat. Für Hitchcock schrieb er „Spellbound“, für Howard Hawks „Scarface“, für Billy Wilder „Frontpage“. Hecht schrieb schneller als alle anderen. Hollywood holte ihn, für sehr viel Geld, wenn nichts mehr ging – so rettete er 1939 auch das Skript von „Vom Winde verweht“.

Er war ein Luftikus, in Pointen verliebt bis ins Unseriöse. Anfang der 40er wurde alles anders. Hecht begriff als einer der Ersten in den USA, dass die Nazis Ernst machten mit dem Genozid an den Juden. Hecht, der Bohemien, der die Welt stets ästhetisch betrachtet hatte, wandelte sich zum politischen Kämpfer. Er finanzierte Anzeigekampagnen und schrieb Agitprop-Theaterstücke, um den US-Bürgern klarzumachen, was die wenigsten wahrhaben wollten: den industriellen Völkermord. Er wurde zum radikalen Zionisten und unterstützte die jüdische Terrorgruppe Irgun in Palästina, die britische Soldaten in die Luft jagte. Das bescherte ihm nach 1945 ein Aufführungsverbot seiner Werke in England.

Hecht ist ein großer Vergessener, ein famoser Stilist, ein berückender Erzähler und ein begnadeter Schwindler. Seine Texte wieder zu drucken, ist eine Tugend, die jeden Verleger adelt. Sogar wenn es das Buch schon gibt. Hecht hätte die Chuzpe dieser stillschweigenden Wiederauflage wohl gemocht. Coolness, die bis an Unverschämtheit reichte, war sein Markenzeichen.

Hecht sah, wie Thomas Brandlmeier zutreffend bemerkte, aus wie ein „New Yorker Jude mit der Nase eines irischen Preisboxers“. 1918 hatte er bereits eine steile Karriere als Klatsch- und Skandalreporter in Chicago hinter sich, die sich drei Eigenschaften verdankte: skrupellosen Recherche-Methoden, einem äußerst elastischen Wahrheitsbegriff und dem Talent kurz, knapp und hard boiled zu schreiben. 1919, wird er, mit 24 Jahren, Auslandskorrespondent der Chicago Daily News in Berlin. Hecht versteht kaum Deutsch, hat von Politik keinen blassen Dunst, weiß aber sofort, worum es geht. Die Rechten wollen die Revolution abwürgen, indem sie die Legende in die Welt setzen, dass bolschewistische Horden Deutschland überrollen. „Mein politisches Verständnis war gleich null und meine Informationsquellen beschränkten sich auf Rauschgiftsüchtige, Nymphomaninnen und einen Kellner. Aber die Lügen über über Russland waren so leicht auszumachen wie ein Scheißhaus im Nebel.“

So treibt er sich Bars herum, interviewt schwule Militärs und trifft verzweifelte reaktionäre Offiziere, die in Tränen ausbrechen, weil sie gerade ein paar hundert kommunistische Frauen und Kinder mit dem MG ermordet haben. Hecht ist dabei, als Karl Liebknecht die Republik ausruft und sich danach, in langen Unterhosen, ins Bett von Kaiser Wilhelm legt. Ist das wahr? Streng genommen eher nicht. Aber dafür ist es so blendend geschrieben, dass nur schlecht gelaunte Philologen sich an solchen Kleinigkeiten stören. Hecht ist ein Vorfahr des Gonzo-Journalismus, nur klüger und lustiger. Er versteht es, history in stories aufzulösen, Geschichte in Geschichten.

So kann man gewiss bei den meisten Episoden – etwa wie Hecht selbst daran teilhat, dass Lenin der bayerischen Räteregierung eine Million Goldmark zuspielt – eine gewisse Neigung zur Ausschmückung und Räuberpistole nicht verhehlen. Doch mit seiner politischen Analyse liegt Hecht erstaunlich richtig. Die Ebert-&-Scheidemann Sozialdemokratie paktierte mit der Reaktion gegen die Revolution – und verriet damit die Demokratie. Das hat der unpolitische Journalist aus Chicago 1919 instinktiv erfasst. „Revolution im Wasserglas“ ist gewissermaßen Faction, die im höheren Sinne wahr ist.

1954 hat Hecht seine 600 Seiten starke Biografie geschrieben: „A child of the century“, die eine Geschichte des Journalismus, der Juden in den USA und Hollywoods ist. „Revolution im Wasserglas“ ist ein kleines Exzerpt aus „A child of the century“. In den letzten 50 Jahren hat sich kein deutscher Verlag gefunden, der sich traute, „A child of the century“ in voller Länge zu übersetzen. Es wird Zeit, das sich das ändert. STEFAN REINECKE

Ben Hecht: „Revolution im Wasserglas, Geschichten aus Deutschland 1919“. Berenberg Verlag, Berlin 2006, 106 Seiten, 19 Euro