Kolonialismus reloaded

Gerhard Klas erkundet ausführlich, warum indische Linke die Folgen der Globalisierung kritisieren

Jeder vierte Software-Ingenieur der Welt kommt aus Indien – doch auch jeder zweite Unterernährte lebt dort. Sind das die beiden Seiten der Globalisierung?

Die linken indischen AktivistInnen jedenfalls, die Gerhard Klas für sein Buch „Zwischen Verzweiflung und Widerstand“ interviewt hat, sind sich einig: Die Globalisierung bringt für Indiens Bevölkerungsmehrheit nur Nachteile. Sie „ist für uns nichts Neues, sie ist für uns die Fortsetzung des alten Kolonialismus“, meint etwa der marxistische Autor Govinda Pillai aus dem südlichen Kerala.

Der Wert des Buchs besteht darin, die Kosten und Widersprüche der Globalisierung Indiens aufzuzeigen und einheimische Kritiker ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Damit bildet das Buch, dessen Kapitel aus jeweils einführenden Beobachtungen des Autors und anschließenden Interviews besteht, einen Kontrast zum Mainstream der derzeitigen Indien-Berichterstattung. Die bewundert meist das Wirtschaftswunder am Ganges und macht dessen Opfer nur in den Industrieländern aus. Dabei gibt es in Indien vor allem auf dem Land viele Verlierer.

Leider äußern sich deren politische Vertreter insgesamt sehr einseitig. Sie sehen Inder eben nur als Opfer, indische Täter thematisieren sie kaum – und reden die beträchtliche Zahl indischer Profiteure klein. Bezeichnend ist das Interview mit dem KP-Prominenten Sitaram Yechuri. Als Klas ihn über Chinas Entwicklung befragt, bewundert er das dortige Wirtschaftswachstum, während er Indiens inzwischen ähnliches Wachstum kritisiert.

In den Interviews, bei denen einige namhafte AktivistInnen fehlen, werden unterschiedliche Positionen indischer Linker deutlich, etwa zum Weltsozialforum 2004 in Bombay. Dort traf Klas viele der Interviewten, was das jetzt zweieinhalb Jahre später erschienene Buch etwas veraltet daher kommen lässt. So bleibt eine zentrale sozialpolitische Maßnahme der indischen Regierung unberücksichtigt: das neue gigantische Arbeitsbeschaffungsprogramm auf dem Land. Zudem hätten den Interviews manchmal kritischere Nachfragen gut getan. HAN

Gerhard Klas: „Zwischen Verzweiflung und Widerstand“. Edition Nautilus, Hamburg 2006, 160 Seiten, 12,90 Euro