Merkel-Verschwörern fehlt das Projekt
: KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF

Die treuherzigen Dementis der angeblichen Verschwörer helfen Bundeskanzlerin Angela Merkel wenig. Es kommt gar nicht mehr darauf an, ob fünf Ministerpräsidenten der Union tatsächlich im stillen Kämmerlein vereinbart haben, die Politik der eigenen Parteichefin zu behindern. Sie tun es ja längst – auf offener Bühne.

Vor diesem Hintergrund klang es wehmütig, als sich Merkel in ihrer Festansprache zum Tag der Deutschen Einheit an die Zeit der Wiedervereinigung erinnerte: „Wir konnten anpacken, wir konnten zupacken.“ Deutlicher hätte die jetzige Kanzlerin den Kontrast zu ihrer tristen Gegenwart kaum darstellen können. Ihr Wunsch, die aktuell agierenden Politiker sollten sich den Geist der Wendezeit zum Vorbild nehmen, hörte sich an wie ein verzweifelter Fahnenappell.

Merkel wirkt wie eine Einzelkämpferin, alleingelassen von den Länderfürsten der Union, bespöttelt von der SPD. In dieser Lage muss sie heute einen Kompromiss im Gesundheitsstreit finden. Merkel, das macht ihre Lage so prekär, kann sich nicht einmal darauf verlassen, dass sich die Kollegen, die einer Vereinbarung bereits zugestimmt haben, sich auch daran halten werden. CSU-Chef Stoiber hat schon im Juli bei der Gesundheitsreform vorexerziert, wie man Zustimmung bei Bedarf schnell wieder zurücknimmt.

Diesen Bedarf, der Kanzlerin die Arbeit schwer zu machen, gibt es auch in der CDU – und alle wissen, dass die Gesundheit ihr empfindlicher Punkt ist. Auf dem Umkrempeln der Krankenversorgung gründet Merkels Reformerinnen-Image. Dass nun höchstens ein Reförmchen kommt, schadet ihr, aber es gefährdet ihre Position noch nicht.

Für eine echte Verschwörung fehlt den missgünstigen Parteikollegen erstens ein unumstrittener Anführer und zweitens ein gemeinsames Projekt. Die einen wollen die Union nach links rücken, andere nach rechts. Das Potenzial zum Kanzlerinnensturz gäbe es nur, wenn Merkel weiter Schwäche zeigt. Stärke zeigen hieße hingegen, mehr Steuermittel für die Gesundheit vorzuschlagen – gerade weil das die Ministerpräsidenten im Juli abgelehnt hatten. Setzt es Merkel jetzt durch, hat sie das wichtigste Machtmittel zurückgewonnen: Respekt.