Himmelfahrt mit Unerlässlichen

POPTHEATER Das Duo „Kommando Himmelfahrt“ bringt Erik Saties Kammeroper „Socrate“ auf die Bühne – als „poptheatrale Übermalung“ mit Band und vier Sängerinnen

„Kommando Himmelfahrt“ sind gewillt, den ästhetischen Papperlapapp über Bord zu werfen

VON ROBERT MATTHIES

Erik Satie hätte seinen Spaß gehabt. Auch dass seine Musik den meisten Zeitgenossen bloß als Dilettantismus eines komischen Kauzes galt, hat der Pariser Cabaret-Pianist und Komponist schließlich stets mit Humor genommen. Als sein Freund Claude Debussy ihm einst die Formlosigkeit seiner Werke vorgehalten hatte, antwortete der Gescholtene souverän mit: „Drei Stücke in Form einer Birne“. Und auf den Vorwurf, überhaupt gar kein Musiker zu sein, schlicht mit: „Das stimmt.“

Denn die Frage ist – folgt man aufgeschlossenen Geistern und Satie-Freunden wie John Cage – gar nicht, ob der Franzose „relevant“, sondern, dass er unerlässlich ist. Nur: um sich dem zu öffnen, was in seinen „schnöden und albernen Klavierstücken“ (Adorno) aufblitzt, bedarf es eben eines Befreiungsschlages, den zu bewerkstelligen nicht jeder gewillt – oder in der Lage – ist: nämlich die „Illusionen über Ordnungsideen“ und „den ganzen Rest unseres geerbten ästhetischen Papperlapapps“ (Cage) aufzugeben.

Zwei, die ausdrücklich gewillt sind, sich keinerlei Ordnungs-Illusionen hinzugeben und den ästhetischen Papperlapapp im hohen Bogen über Bord zu werfen, sind der Hamburger Musiker und Komponist Jan Dvorak und der Berliner Regisseur Thomas Fiedler. „Kommando Himmelfahrt“ nennt sich das Duo dabei nicht nur, weil es sich stets riskanten Unternehmungen zwischen zeitgenössischer Musik, Theater und Installation verschrieben hat, sondern auch, weil es tatsächlich um eine Himmelfahrt im Sinne eines one way ticket geht: um die Arbeit an positiven Utopien.

Was dabei herauskommt, war in Hamburg zuletzt vor zwei Jahren zu sehen: Auf Kampnagel ließen Dvorak und Fiedler die Stadt, die so gern Weltstadt sein möchte, im „Hamburg Requiem“ als alles Lasterhaften beraubte Welthauptstadt wiederauferstehen – nachdem das Duo sie in einer düsteren Mischung aus inszeniertem Konzert, Oratorium, Installation und Totenmesse im multimedialen Getose hatte untergehen lassen.

Heute Abend feiert der neueste Streich des Duos auf Kampnagel Premiere: Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Christian Wiehle eröffnet das Genregrenzen-sprengende Himmelfahrtskommando den „ersten Antikenclub Hamburgs“. Vorgenommen haben sich Dvorak und Fiedler diesmal nämlich Erik Saties späte Kammeroper „Socrate“ von 1920, in der der Tonkünstler sich auf der Basis von Texten aus Platons Symposium, Phaidros und Phaidon dem Leben und Tod des nicht minder verkannten und nicht minder unerlässlichen Philosophen gewidmet hat.

Saties lakonisch-minimalistisches sinfonisches Drama mit ursprünglich einer Singstimme kommt dabei als „poptheatrale Übermalung“ auf die Bühne: Statt eines Kammerorchesters steht dort die Band „Music Hall“ bestehend aus Sascha Demand, Tim Beger, Jan Dvorak, Anik Lazar und Gästen; aus Sokrates, Alkibiades, Phaidros und Phaidon werden die „Dunklen Mädchen“ Franziska Junge, Jacqueline S. Blouin, Pia Burnette und Cordula Grolle.

Saties Musik hat Dvorak dabei zwar anders instrumentiert, aber in der musikalischen Substanz unverändert gelassen. Und ihr damit ihre Kraft gelassen. Nämlich – ob ausgelassen oder todesmutig – jenseits aller historischen Stile zu bleiben: ein Himmelfahrtskommando als one way ticket Richtung Utopie.

■ Sa, 23. 10., 20 Uhr und 22 Uhr; So, 24. 10., 20 Uhr; Di, 26. 10., 20 Uhr; Mi, 27. 10., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20