Oberwasser auf dem Klangstrom

Das Schwein ist tot, es lebe die Musik: „We play a long long Schubert“, verkündet der Dirigent Christopher Hogwood in der Bremer „Glocke“. Der Brite ist zwar nicht so berühmt wie das nach ihm benannte „good good pig“ Hogwood, dafür ist seine Vitalität über jeden Zweifel erhaben. Ein Probenbericht

Hogwood weiß, was Schubert braucht: „We do all the the repeats – I’m sorry to say.“ Die Musiker mögen das

Von Henning Bleyl

Während der Saal noch mintgrün hinter zugezogenen Vorhängen dämmert, wird auf der Bühne eifrig geräumt: Die Bremer Philharmoniker erwarten Christopher Hogwood, nach fünf Probetagen soll er mit ihnen in der „Glocke“ die Konzertsaison eröffnen. Schon trabt er auf die Bühne, „can I speak english? You would be horrified by my german.“

Nach dem kleinen Icebreaking-Witz geht‘s gleich zur Sache: Schuberts Sinfonie in C-Dur, die in der allgemeinen Zählweise mittlerweile auf Platz neun des sinfonischen Werkverzeichnisses gerutscht ist. Die Hörner beginnen mit ihrem eingängigen Eröffnungsthema, die Streicher folgen, 8.500 Rossschweifhaare rutschen über die Saiten. Hogwoods dirigierende Arme scheinen auf dem Klangstrom zu schwimmen, so entspannt wirkt sein Körper. Bis das „Allegro ma non troppo“ erreicht ist – schnell, aber nicht zu schnell: Hogwood hält es nicht mehr auf seinem Barhocker-ähnlichem Maestro-Sitz, jetzt schwingt der ganze Mann. Neun Minuten Schubert am Stück, dann wird kleinteiliger gearbeitet. „Excuse me for stopping all the time, but I want to explain some principles.“ Zum Beispiel: „Some crescendo mustn’t happen before it starts.“ Will heißen: Nicht zu früh Gas geben! Hogwood sucht die kleinen Klangnuancen, jetzt ruft er: „Three ,f‘!“ Die Musiker sollen im Kopf behalten, dass in der Sinfonie auch ein Fortefortissimo vorgesehen ist, die Lautstärke also ausbaubar bleiben muss.

Eigentlich sind diese dynamischen Markierungen ohnehin inflationär, dem seligen Bach reichte ein einfaches „f“, Beethoven schrieb bereits ein vierfaches „forte“ oder gar ein fünffaches „piano“ in die Partitur. „Das muss man wieder zurückrechnen“, sagt Hogwood. Und noch was: „We do all the the repeats, I’m sorry to say.“ Also der ganze Schubert in der vollen 45-minütigen Pracht seiner ausbrechenden Romantik – „we play a long long long long Schubert“ sagt Hogwood nochmal.

Jetzt wird erstmal umgeräumt. Die Bässe sollen die Seite wechseln, „you won’t loose your friends“, ruft er ihnen beruhigend zu, als sie ihre riesigen Instrumente über die Bühne wuchten. Hogwood testet das klangliche Ergebnis auf einer Wanderung durch den leeren Konzertsaal. Ein Vergnügen, dass der Komponist selbst nie hatte: Erst zehn Jahre nach Schuberts Tod fand Schumann zufällig die Partitur, die ihn aber sogleich „freudeschaudernd“ machte.

Auch Hogwood ist zufrieden. Der Klang ist jetzt in der Tat transparenter, nebenbei zeigt sich das Phänomen der Freiheit: Vorübergehend allein verantwortlich, legen sich die MusikerInnen mächtig ins Zeug, die bloße Präsenz des Dirigenten als erstem Zuhörer spornt sie an.

Dabei sind die Philharmoniker durchaus kein flüsterfreier Klangkörper. Da tuschelt sich schon mal ein Scherz durch die Reihen oder ein Geigenbogen piekst den Vordermann. Hogwood stört sich nicht daran. „Nach den ersten zehn Minuten weiß man, wo seine Freunde sind“, sagt der 65-jährige Musiker. Im übrigen sei er aus Italien ganz anderes gewohnt: „Da wird die ganze Zeit über Fußball diskutiert.“

Wobei man wissen muss, dass Hogwood keine Tournee mit einem sizilianischen Provinzorchester hinter sich hat, sondern eine „Dido und Aeneas“-Produktion an der Mailänder Scala.Trotz der offenbar enervierenden „Inter Mailand“-Diskussionen war das Ergebnis umjubelt. „L’Opera“ schrieb von der „diamantenen Klarheit des Orchester“, die „so fein und delikat wie eine Stickerei“ gewesen sei.

In Bremen könnte sich Ähnliches ereignen – wenn die nächsten Probentage so gut laufen wie der erste. Hogwood kennt die „Glocke“ von früher, als er hier mit einem „Originalklang-Ensemble“ spielte, also einem Orchester, das historische Instrumente einsetzt. Jetzt, mit den Bremer Philharmonikern, ist ihm der Sound manchmal noch zu „fett“, er sucht nach Transparenz, „delicateness“. „This is obviously the Auftakt“, weist er das Orchester auf eine unterbewertete Note hin. Er singt, er zeigt, sagt „very fruity“, noch langt der Bleistift zum Dirigat.

Dem Orchester macht es sichtlich Spaß, mit Hogwood zu arbeiten. „Take the wood“, ruft er der Paukerin zu, die mit ihrem Schlagwerk einsam über dem Orchester thront. Sie soll die Schlegel einfach umdrehen und mit den Stielen schlagen: „This is battle music.“

Hogwood ist eine musikalische Kapazität. Mit seiner 1973 gegründeten „Academy of Ancient Music“ hat er als einer der ersten Maßstäbe für die historische Aufführungspraxis gesetzt. Er ist Cambridge-Professor, Cembalist, weltweit gefragter Gastdirigent, hat über 200 Platten und CDs aufgenommen und ist ein mit allen Archivalien gewaschener Wissenschaftler.

Hogwood ist auch an Schweine-Scherze gewöhnt, schließlich lässt sich sein Name mit Schweinewald übersetzen. Neu ist allerdings, dass ihn ein Schwein seines Namens an Popularität übertrifft, auch noch ein totes. Hogwood the pig lebte bis vor kurzem in New Hampshire und wurde durch den Bestseller „The good good pig“ der Tierbuchautorin Sy Montgomery beliebt und berühmt. Dem massigen Tier wurden nicht weniger als die Fähigkeiten eines „great big buddha master“ zugesprochen. „I think, the poor pig is dead now“, meint Hogwood, auf seinen 750 Pfund schweren Namensvetter angesprochen. Er sei kein besonderer Tierfreund, schon gar nicht im Nebenjob Farmer wie sein berühmter Kollege John Elliot Gardiner – aber irgendwann will er den Bestseller schon noch lesen. Immerhin hatte ihn die Autorin vorher gefragt, ob ihr Schwein seinen Namen tragen darf.

Zurück zu Schubert. Die Bläser haben einen homogenen Ensemble-Klang, „that’s a good discovery“, kommentiert Hogwood, doch jetzt kommt schon die „Fantasia“: „They didn’t say ,Sonataform‘“, merkt Hogwood an – damit ist er bei einem seiner Lieblingsthemen angelangt: Wie über so vieles hat er auch über die Sonatenform eine Abhandlung geschrieben. Aber jetzt ist keine Zeit für theoretische Exkurse, schließlich ist Schuberts große Sinfonie nur ein Teil des Programms. Hogwood, von Kopf bis Fuß Programmatiker, hat Mendelssohns Bläser-Ouvertüre in C-Dur und Strawinskys „Apollon Musagète“ für Streicher als Vorbereitung vorgesehen. Dann hat die „Glocke“ wieder mal ausgedämmert.

Christopher Hogwood und die Bremer Philharmoniker sind kommenden Montag und Dienstag in der Bremer Glocke zu hören. Karten: ☎ (0421) 33 66 99