„Nur Druck bewegt etwas“

Was der Wechsel des Stromanbieters bringt – und warum der jüngste Aufruf dazu mehr Aussicht auf Erfolg hat als frühere: Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Kampagne „X-tausendmal quer“, im taz-Interview

taz: Herr Stay, am 26. September hat RWE längere Laufzeiten für das Atomkraftwerk Biblis A beantragt. Für die Anti-Atom-Bewegung markiert dieser Tag das Ende vom Atomkonsens.

Jochen Stay: Wir haben den Atomkonsens ja immer als Etikettenschwindel kritisiert. Aber zumindest wurde öffentlich der Eindruck erweckt, die Stromkonzerne hätten sich auf einen schrittweisen Ausstieg eingelassen. Jetzt wird klar: Sie wollen kein einziges AKW vom Netz nehmen. Es gibt keinen Ausstieg. Bei den ebenfalls geplanten Laufzeitverlängerungen für Brunsbüttel und den anderen Reaktorblock in Biblis muss Bundesumweltminister Sigmar Gabriel laut Atomgesetz gar nicht erst gefragt werden. Das machen die einfach so.

Anti-Atom-Bewegung und Umweltverbände rufen Kunden auf, bei den großen Konzernen und ihren Töchtern zu kündigen und stattdessen Öko-Strom zu beziehen. Was wollen Sie damit politisch erreichen?

Wir wollen die Konzerne direkt unter Druck setzen, und zwar alle vier Konzerne, nicht nur RWE. Unser Ansatz ist: Wenn die nicht abschalten, dann werden sie von ihren eigenen Kunden abgeschaltet. RWE hat den Antrag auf Laufzeitverlängerung mit der Rücksicht auf die Aktionäre begründet. Wir wollen mit unserer Initiative dafür sorgen, dass die Aktionäre es gar nicht erwarten können, dass die Reaktoren abgeschaltet werden.

Gab es nicht schon viele relativ erfolglose Aufrufe zum Stromwechsel?

Bisher wurde dieser Wechsel hauptsächlich ökologisch begründet. Doch das eigene Öko-Gewissen war für viele Menschen wohl zu wenig Motivation. Jetzt wird die eigene Unterschrift unter den Stromvertrag Teil eines gemeinsamen politischen Handelns – viel mehr als jede Unterschrift unter eine Protesterklärung oder einen bloßen Appell. Wenn in den nächsten Wochen und Monaten tausende wechseln, dann ist das ein unübersehbares Zeichen an die Stromkonzerne in einer Sprache, die sie verstehen. Es gibt viele Menschen, die diesen Schritt weg von den großen Konzernen und ihren Töchtern immer schon mal machen wollten. Jetzt ist dazu der beste Zeitpunkt.

Die Grünen steigen voll auf die Kampagne ein. War das so gedacht?

Na, erstmal hoffen wir, dass sehr viele Organisationen aus allen Teilen der Gesellschaft mit ganzer Kraft diesen Aufruf unterstützen. Nur so können wir Erfolg haben. Wir richten uns ja ganz bewusst auch an Firmen, Kirchen, Gewerkschaften und Stadtverwaltungen. Wenn die Grünen allerdings als einzige Partei mitmachen, gäbe es eine Schieflage in der Außenwahrnehmung, die mir nicht gefallen würde. Ich hoffe, dass die Linkspartei und auch atomkritische Sozialdemokraten sich von dem grünen Vorstoß nicht abschrecken lassen und selbst klar Position zu unserem Aufruf beziehen.

Bleibt der Boykott die einzige Protestform?

Nein, wir rufen nicht nur zum Wechsel des Stromanbieters auf. Wir werden auch auf die Straße gehen. Zum Beispiel am 4. November in Biblis und Brunsbüttel. Eine Woche später ist in Gorleben die Auftakt-Demo gegen die Castor-Transporte. Die Castor-Proteste sollen dieses Jahr auch eine Antwort auf die Laufzeiten-Pläne der Stromkonzerne sein. Das Atommüll-Problem ist weiter ungelöst, trotzdem wollen RWE und Co. weiter strahlende Abfälle produzieren. Unsere Gorlebener Erfahrung ist: In der Atompolitik bewegt sich nur dann etwas, wenn viele Menschen Druck machen, ob jetzt als mündige Stromkunden oder im November beim Castor-Transport ins Wendland.INTERVIEW: REIMAR PAUL