Die Hauptstadt der Wohltätigkeit

Die Stiftungslandschaft in Berlin boomt. Die Zahl der Neugründungen steigt seit Jahren, allein 2005 waren es 37. Die Senatskanzlei will deshalb die Stadt zum Zentrum für Stifter machen. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Denn vor allem im Ostteil gibt es noch zu wenige bürgerrechtliche Stiftungen

VON SILKE KOHLMANN

Berlin erlebt einen Stiftungsboom. Das erklären sowohl der Bundesverband Deutscher Stiftungen als auch die Stiftungsaufsicht Berlin – als auch die Senatskanzlei. Allein 37 neue Stiftungen wurden 2005 in Berlin gegründet. „10 mehr als im Vorjahr“, jubelt die Senatskanzlei. Damit waren Ende des vergangenen Jahres 537 Stiftungen bürgerlichen Rechts in Berlin ansässig. Die vielen unselbständigen Stiftungen, Stiftungsvereine und -gesellschaften sowie Stiftungen öffentlichen Rechts sind dabei nicht mit eingerechnet.

„Das seit den 80er-Jahren gestiegene Verantwortungsbewusstsein der Bürger und steuerliche Vergünstigungen sind Gründe für den Stiftungsboom“, sagt Kathrin Succow vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. Seit Änderung des Stiftungssteuerrechts im Jahr 2000 „steigen die Zahlen“, sagt auch Andreas Münch von der Stiftungsaufsicht Berlin. Als weitere Ursachen sieht Succow die Ansammlung von Vermögenswerten, die durch die Friedenszeiten möglich wird, und die Kinderlosigkeit: „Immer mehr Menschen vermachen ihren Nachlass einer Stiftung.“

André Schmitz, Chef der Senatskanzlei und Beauftragter für bürgerschaftliches Engagement, hat deshalb hohe Ziele für die Stadt: „Wir arbeiten daran, dass Berlin Stiftungshauptstadt wird.“ Der Senat habe die Stiftungsaufsicht entbürokratisiert und werde auch künftig die Leistungen von StifterInnen würdigen und öffentlich darstellen, verspricht Schmitz.

Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg. Denn was die Stiftungsdichte betrifft, liegt Berlin noch hinter vielen anderen Bundesländern zurück. Die meisten Stiftungen hat zurzeit und schon seit langem Hamburg – auf 100.000 Einwohner kommen hier 56 Stiftungen. Mit 16 Stiftungen pro 100.000 Einwohner findet sich Berlin da nur auf Rang acht in der Liste der sechzehn Bundesländer.

Und auch der Zuwachs an Stiftungen ist kein auf Berlin beschränktes Phänomen. Bundesweit nimmt die Zahl der Neugründungen jedes Jahr kontinuierlich zu. Waren es 1990 181 neu errichtete Stiftungen, stieg die Zahl im Jahr 2000 auf 681 an; 2005 wurden im gesamten Bundesgebiet 880 Stiftungen ins Leben gerufen. Bei den Neuerrichtungen 2005 liegt Berlin (1,09 pro 100.000 Einwohner) nur geringfügig über dem Mittel aller Bundesländer (1,06).

„Wir haben in Berlin natürlich eine besondere Situation“, erklärt Succow. Durch die Teilung der Stadt seien in der Hälfte der Stadt die Stiftungen weggefallen. „In der DDR waren Stiftungen nicht im Gesetz verankert. Da sich niemand für sie engagierte, sind sie größtenteils im Nichts versunken.“ 13 Stiftungen seien 1989 auf dem Gebiet Ostberlins noch übrig gewesen, weiß Münch. „Die meisten davon waren kirchliche Stiftungen oder der Kirche angeschlossen.“

Über die heutige Verteilung der Stiftungen auf Ost- und West-Berlin sind keine Zahlen verfügbar. „Wir unterscheiden in unseren Statistiken nicht zwischen Ost und West“, erklärt Münch. Die Erhebungen auf Bundesebene zeigten aber, dass die neuen Länder hinter den alten zurückblieben, was die Verteilung der Stiftungen angeht. „Das liegt zum einen an der Tradition, zum anderen an der Zahlungskräftigkeit“, erläutert Münch.

Die rund 500 bürgerrechtlichen Stiftungen in Berlin verfügen über ein Gesamtkapital von rund 2,8 Milliarden Euro. 30 Prozent der Einrichtungen verwenden die Erträge aus dem Stiftungsvermögen für soziale Zwecken. Auf dem zweiten Platz rangieren Wissenschaft und Forschung (18 Prozent), danach folgen Bildung (16 Prozent) und Kunst und Kultur (12 Prozent).

Auf 750 Jahre Stiftungswesen kann Berlin inzwischen zurückblicken – eine Geschichte von Hochs und Tiefs. „Im 19. Jahrhundert“, so referiert Succow, „haben sich vermögende Damen und Herren zahlreich für soziale Zwecke eingesetzt.“ Dagegen sei mit dem Aufkommen von Industrialisierung und der Einführung des Sozialstaats das bürgerschaftliche Engagement zurückgegangen. Insbesondere aber die Enteignung und Vertreibung der Berliner Juden habe im 20. Jahrhundert zu einem großen Stiftungssterben geführt.