Galgenhumor im Tiefflug über Hamburg

KAHLSCHLAG Wie die Szenegrößen von Studio Braun den Überflieger Mathias Rust gegen die Kürzungen am Schauspielhaus ins Spiel bringen

Mit Spannung wurde erwartet, wie die Szenegrößen sich zur Sparpolitik verhalten

VON JULIAN WEBER

Auch Russen haben Humor. „Auf Wiedersehen, Mathias, tollkühner Revisor unserer Luftabwehr“, titelte die Moskauer Zeitung Iswestija 1988. Im Jahr zuvor war ein 18-jähriger Jüngling mit Tropfenbrille, Mathias Rust aus Wedel bei Hamburg, unbehelligt von der sowjetischen Luftabwehr bis nach Moskau geflogen und gleich neben dem Roten Platz mit seinem Sportflugzeug gelandet. Für den „Weltfrieden“, wie er sagt. Mit dem Überflieger geht es danach steil bergab.

„Rust – Ein deutscher Messias“ nennen die Hamburger Humor-Prankster von Studio Braun (das sind die Szenengrößen Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk) ihre Version dieser bundesdeutschen Geschichte, die am Donnerstag im Hamburger Schauspielhaus Premiere feierte. Dort hat der Intendant Friedrich Schirmer eben seinen Posten geräumt, aus Protest gegen die drastischen Sparmaßnahmen der Hansestadt. Mit Spannung war erwartet worden, ob und wie Studio Braun, geerdet in der Hamburger Punk- und Subkulturszene, sich zu dieser neuesten Kahlschlagepisode verhalten würden.

Man kann ihr verschwenderisches „psychedelisches Volkstheater“ (Studio Braun) als ablehnenden Kommentar zur Politik der knappen Kassen lesen. Vielleicht werden die überragenden dramaturgischen Einfälle, die traumwandlerische Musikuntermalung und das besondere Gespür der drei Komiker, das Publikum mit Sonderansprachen aus der Fassung zu bringen, bald gar nicht mehr möglich sein. Trotzdem, „eine heitere Grundstimmung“ attestiert Heinz Strunk im Prolog seinem Ensemble, obwohl sich zwei Schauspieler das Bein gebrochen haben. Heiterkeit braucht es auch, denn „Rust“ bündelt die 16 bleiernen Jahre der Kohl-Ära zu einem Kaleidoskop der Scheußlichkeiten: Schrankwand-Mief und nerdige Technikbegeisterung, verklemmter Sex und Monokel-tragende Fliegerhelden aus „Was ist was“-Bänden.

Mal tritt das Trio als dreiköpfiges Penis-Orakel, Schamoni als Roter Baron, Strunk als Graf Zeppelin und Palminger als Jagdflieger Hartmann, mal als kleiner Bruder von Mathias Rust, als Pantoffelheld-Vater und als Teppichvorleger auf: Nie lassen sie ihren Protagonisten aus den Augen. Sie lachen zwar über ihn, aber fallen lassen tun sie ihn nicht.

Mathias Rust, großartig gespielt von Fabian Hinrichs, ist ein glucksender Klugscheißer, der seine Gegenüber totquatscht. Aber die „Supermacht mit drei Buchstaben: Ich“ hat auch die Ärmel hochgekrempelt und nimmt den übersteigerten Individualismus der achtziger Jahre beim Wort. Seine fliegerische Meisterleistung bis nach Moskau feiert das Studio Braun mit einer LSD-bunten Landeparty auf dem Roten Platz: In der prächtigsten Szene des Abends tanzen ein Iwan Rebroff und Bolschoi-Milizionärinnen mit allen anderen Russland-Klischees zwischen Wodka und Knoblauchpillen um die Wette.

Studio Braun haben sich mit dieser Produktion aus dem Klamaukkult in passgenauen Illusionismus verabschiedet. Viel dezenter als früher nehmen sie sich, auch dank Hinrichs’ schauspielerischer Bravourleistung, stärker zurück. Galgenhumor ist subtiler, die eigene Lage lässt sich so besser reflektieren.

Das geht dann so: Heinz Strunk muss im Schauspielwettbewerb die Rolle der Mutter Rust abgeben an die Schauspielerin Juliane Koren. Beide spielen eine Szene aus „Der weiße Hai“. Der Bürgermeister des Küstenorts wird der Profitgier bezichtigt. Er hat es versäumt, den Strand zu räumen. „Mit Verlaub, Herr Bürgermeister, Sie sind ein Arschloch!“, konstatiert Strunk.

Viele begeisterte Premierengäste haben diese Szene als Kritik an der aktuellen Hamburger Kulturpolitik verstanden. Der Hai ist Wappentier der Proteste gegen hanseatische Sparmaßnahmen. „Ich bin das Schauspielhaus“ steht auf den Buttons. „Ihr alle seid das Schauspielhaus, lasst es nicht abkacken“, verkündet Rocko Schamoni nach dem Schlussapplaus von der Bühne, Jubel brandet auf. Einige Schauspieler ballen die Fäuste.