LESERINNENBRIEFE
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Emanzipiert und solidarisch

■ betr.: „Konsens gegen die Armen“, taz vom 21. 10. 10

Wie lange wollen wir uns dieses makabre Spiel, das die Herrschenden auf Kosten der Ärmsten treiben, noch ansehen? Menschen, die systembedingt durch Arbeitslosigkeit oder Niedriglöhne in Not geraten sind, sollen weiter – jetzt mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes – an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Nimmt man neben der Hartz-IV-Strategie noch die chauvinistische Integrationsdebatte mit der Forderung nach einer „deutschen Leitkultur“ hinzu, wird die Absicht deutlich: Widerstand gegen die verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Regierung soll abgewehrt werden durch das Prinzip: Machterhalt durch Teilen und Herrschen. Und es funktioniert: Aus Angst vor sozialem Abstieg passt man sich an, anstatt Widerstand zu leisten – die Disziplinierungsfunktion des Staates greift also.

Das Prinzip des Teilens durch Hierarchisierung funktioniert bis in die Grundschicht der Gesellschaft hinein: Selbst als „deutscher“ Hartz-IV-Empfänger bin ich noch wer, verglichen mit meinem arabisch- oder türkischstämmigen Nachbarn.

Lassen wir uns nicht weiter von den Herrschenden in den Status abhängiger, unmündiger Kinder drängen, fangen wir an, emanzipatorisch und solidarisch zu handeln.

MARGIT GEILENBRÜGGER,

Dortmund

Danke, Voltaire!

■ betr.: „Die unvollendete Säkularisierung“, taz vom 21. 10. 10

Schön, dass jemand merkt, dass wir Atheisten auch noch da sind. Dieses Gerede von einer jüdisch-christlichen Kultur in Deutschland oder Europa will gerne vergessen (machen), dass das eigentlich spezifisch Europäische aus der Renaissance (der heidnischen Antike) und aus der Aufklärung (danke, Voltaire!) stammt. Oder will man etwa die heimische Kultur des Scheiterhaufens den fremden Praktiken der Steinigung entgegenstellen?

RICCARDO ESCHER, München

Kein Hassobjekt

■ betr.: „Hassobjekt Muslim“, taz vom 14. 10. 10

Für mich ist ein muslimischer Bürger kein Hassobjekt, ganz im Gegenteil, ich respektiere und achte sie. Aber ich kann die Angst der deutschen Bürger sehr gut verstehen.

Der Spruch unseres Bundespräsidenten, Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehört, ist aus meiner Sicht nicht richtig! Die muslimischen Bürger, die Deutsche sind, gehören zu Deutschland, aber nicht der Islam. Da muss man schon sehr genau unterscheiden. WILLI HINRICHS, Berlin

Ungleichheit und Rassismus

■ betr.: „Politik mit dem Feind“, taz vom 14. 10. 10

Leider schützen weder finanzielle Sicherheit und politische Teilhabe noch Bildung vor „Rassismus der Mitte“. Rassismus ist nicht einfach eine individuelle Meinung oder Haltung, sondern eine der Dimensionen der gesellschaftlichen Ungleichheit, die unsere ganze Gesellschaft durchzieht und strukturiert. Sie privilegiert alle, die nicht als Minderheit wahrgenommen werden, ob sie es wollen oder nicht. Rassistische Strukturen zu ändern ist deshalb unbequem und zieht Widerstände nach sich. Aber solange eine Gruppe schwach genug ist, dass sie ohne Konsequenzen stigmatisiert werden kann, kann sie als Sündenbock genutzt werden. Wenn Minderheiten endlich Teil der gesellschaftlichen „Normalität“ im Fernsehen, in der Politik, vor Schulklassen und Universitätsseminaren, in hohen Managerpositionen werden, erst dann ändert sich die gesellschaftliche Wahrnehmung. Dann werden sie als richtiger Teil der Gesellschaft gesehen, als deutsch. Einen selbstverständlichen Teil der Gesellschaft traut sich kein/e Politiker/in als Sündenbock auszugrenzen.

MILISA SALAZAR, Berlin

Immer was zu meckern

■ betr.: „Hau den Muslim“, taz vom 20. 10. 10

Hilal Sezgin spricht mir mit jedem Satz aus der Seele. Und so geht es vielen meiner türkisch- oder arabischstämmigen Bekannten oder Freunde.

In Wirklichkeit ist es doch so, dass die Leute, die uns wirklich wollen und uns als Menschen wertschätzen, alles sowieso differenziert sehen können und in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und die anderen? Da können doch die Migranten oder Muslime (mittlerweile geht’s ja nur noch um Muslime) machen und erfolgreich sein, wie sie wollen, es wird immer noch etwas zum Meckern gefunden. Also lassen wir einfach die Diskutiererei. Das spart ’ne Menge Kraft. Schlimm nur, wie Frau Sezgin auch schreibt, dass in den öffentlich-rechtlichen Sendern auch nur noch reißerische Titel für Diskussionsrunden verwendet werden, für die man sich fremdschämen muss. Wir als Gesellschaft bekommen nun die Quittung für jahrelangen unseriösen „Schmuddeljournalismus“ gepaart mit Ignoranz der Politik. SAFIYET BRUCKS,

Schwäbisch Gmünd