„Eine Instinktlosigkeit ohnegleichen“

Ex-Siemens-Mitarbeiter sollen gehen – die Manager bekommen mehr Geld. Der Autor von „Nieten in Nadelstreifen“ Günter Ogger vermutet, dass Aufsichtsrat von Pierer seine Schuld für die schwache Handysparte abschieben wollte

taz: Herr Ogger, Siemens hat versucht, sein Handygeschäft loszuwerden. Jetzt haben wahrscheinlich 3.000 Mitarbeiter bald keinen Job mehr – und Siemens hat den Imageschaden. Sind die Manager des Konzerns „Nieten in Nadelstreifen“?

Günter Ogger: Ich würde eher sagen, sie sind ungeschickt. Es ist richtig, Siemens hat offensichtlich nicht die richtigen Leute gehabt, um diese schnelllebige und stark von Modeströmungen abhängige Sparte richtig zu führen. Ich glaube aber nicht an die Verschwörungstheorien, dass das Ganze ein abgekartetes Spiel gewesen sei, um die Mitarbeiter loszuwerden. Die Siemens-Manager haben meiner Meinung nach durchaus erwartet, dass die Taiwaner das Geschäft erfolgreicher betreiben als sie selbst. Aber diese haben nichts an der Produktion geändert und die Manager belassen. Und dass die es nicht konnten, wusste man ja bereits.

Die Nieten sitzen also am Firmenhauptsitz in Taiwan?

Ja. Sie haben von Siemens sehr viel Geld mitbekommen – über 400 Millionen Euro – und haben sich offenbar selbst eine Frist gesetzt: Wenn dieses Geld verbrannt ist, machen wir Schluss. Was sie noch an Patenten und sonstigem Know-how aus der deutschen Firma abgezogen haben, kann ich nicht beurteilen.

Muss man den Managern in München nicht Fahrlässigkeit gegenüber ihren Mitarbeitern vorwerfen, für deren Absicherung sie nicht hinreichend gesorgt haben?

Bei dem Verkaufsbeschluss standen sicher die Interessen der Belegschaft nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste. Siemens stand ja damals unter massivem Druck, die Handysparte entweder zu sanieren oder abzustoßen. Der neue Vorstand unter Klaus Kleinfeld hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden und war sicher Gott froh, dass überhaupt einer zugegriffen hat. Wie schwer das war, sieht man an der hohen Summe, die Siemens lockergemacht hat. Für Kleinfeld waren nicht die Interessen der Mitarbeiter das zentrale Thema, sondern dass es schnell ging.

Aber nun ist das Imagedebakel gewaltig.

Da kamen zwei Dinge zusammen: der geplante massive Stellenabbau im eigenen Konzern und die Gehaltserhöhung für den Vorstand um 30 Prozent.

Da fragt man sich, wie weltfremd und von sich selbst überzeugt Manager sein müssen, um darin kein Problem zu sehen.

Ich vermute einen anderen Zusammenhang. In einer Titelgeschichte des Managermagazins, deren Autoren offensichtlich auch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich von Pierer gesprochen haben, klang deutlich an, dass der Aufsichtsrat mit dem nassforschen Kurs des Vorstands unter Kleinfeld nicht mehr ganz einverstanden ist. So wie ich ihn einschätze, ist Herr Kleinfeld daraufhin wutentbrannt zu Pierer gelaufen und hat sich beschwert: „So eine Sauerei, wir machen für Sie die notwendige Drecksarbeit, die Sie in ihrer Amtszeit als Vorstand versäumt haben, und müssen nun so erfahren, dass der Aufsichtsrat nicht mehr hinter dem Vorstand steht.“ Darauf hat Pierer 30 Prozent draufgelegt, um den Vorstand bei der Stange zu halten. In dem Moment hat er wohl überhaupt nicht gesehen, was für eine Wirkung so etwas nach außen hat, wenn gerade tausende Leute entlassen werden. Das zeugt von einer Instinktlosigkeit ohnegleichen, die man im Hause Siemens früher so nicht kannte. Ich kann mir das nur so erklären, dass aus der Familie Siemens niemand mehr im Aufsichtsrat sitzt. Die Manager sind unter sich.

Jetzt mischen sich Politiker aller Couleur ein, aber kann in so einer Situation die Politik überhaupt etwas erreichen?

Nein. Das sind doch nur die typischen Reflexe. Die Politiker können da nichts machen und wollen ja auch gar nicht zu einer staatlich gelenkten Wirtschaft kommen.

Wie könnten dann solche Managementfehler zulasten der Beschäftigten verhindert werden?

Es braucht bessere Manager, vor allem stärkere Aufsichtsräte. Wenn der Herr von Pierer dem Job nicht gewachsen ist, muss er ausgewechselt werden.

Fehler sind in letzter Zeit aber nicht nur bei Siemens passiert, man denke nur an die Bestechungsaffäre bei Infineon oder die Sexaffäre bei VW.

Die Probleme häufen sich in der Tat. Wenn man einen gemeinsamen Nenner dafür sucht, ist es der verschärfte Druck von Seiten der globalen Finanzmärkte auf die Unternehmen, mehr Rendite zu erwirtschaften. Früher standen die Interessen der Mitarbeiter über denen der Kapitaleigner und der Verbraucher. Das hat sich umgekehrt. Die Belegschaften haben momentan von diesen drei Wirtschaftspartnern die schlechtesten Karten. Da wird bei manchen nun wieder der Ruf nach Protektionismus, nach Schutz vor dem Weltmarkt laut. Ob das längerfristig hilft, habe ich meine Zweifel.

INTERVIEW: NICOLA LIEBERT