LESERINNENBRIEFE :
Verantwortlich sind PolitikerInnen
■ betr.: „Wir sind nicht für Asyl zuständig“, taz vom 2. 4. 14
Biedermänner wie der Frontex-Direktor tragen das System, auch das der europäischen Abschottung. Ob befehlshörig oder gesetzestreu, spielt im Ergebnis keine Rolle.
Aber verantwortlich sind die PolitikerInnen in der EU, und zwar aller Parteien, weil nicht nur ihre Gesetze und Verordnungen – Dublin III, Eurodac, ENP (Europäische Nachbarschaftspolitik), Europäische Aufnahmerichtlinie –, sondern vor allem ihr Schweigen, ihre Passivität, ihr Wegsehen massenhaft tödliche Folgen haben. Sie haben nicht nur die Ertrunkenen im Mittelmeer und in der Ägäis, sondern die vielen Tausenden, die in Marokko, Tunesien, Libyen, inzwischen auch an den Ostgrenzen, drangsaliert, geschlagen, vergewaltigt, wie lästige Insekten zerquetscht werden und für die kein Buchstabe in irgendeinem Medium abfällt, auf dem Gewissen. Kinder, Frauen, Männer werden in Nordafrika in der Wüste ausgesetzt, barfuß, schutzlos, ohne Trinken, Mütter mit Neugeborenen, Kranke, Hilflose. Das Ausmaß darf nicht, es muss als Massenmord angeprangert werden – der von der EU mit Hunderten von Millionen an die nordafrikanischen Pufferstaaten finanziert wird.
Merkel und Hollande, Schröder und Fischer und wie die Charaktermasken alle heißen, jede/r von ihnen trägt persönliche Verantwortung für das unsägliche Elend in den Ländern, aus denen die Menschen, verzweifelt und von Hunger und Hoffnungslosigkeit getrieben, nur den Ausweg der Flucht sehen, und für das Sterben so unerträglich vieler auf diesem Weg. Sollte es irgendwann ein unabhängiges Menschenrechtstribunal geben: Die Friedensnobelpreisträgerin EU und ihre eifrigsten Verteidiger der Festung Europa müssten die Ersten sein, die auf der Anklagebank sitzen.
Nicht die Gesetze und Verordnungen töten, sondern die Menschen, die sie gemacht haben. Und das gilt auch für Frontex, dessen Vertreter sich hinter diesen mörderischen Gesetzen versteckt, als hätte er keine Augen, keine Ohren und sein Verstand wäre amputiert. Die Ökumenische Euregionale Flüchtlingsplattform (D/B/NL), die in Aachen tagt und an der der Verfasser dieser Zeilen mitgearbeitet hat, hat eine Resolution zur Flüchtlingsfrage veröffentlicht, die inzwischen auch überregional einige Bewegung entfacht hat. Sie könnte eine Grundlage für einen breiten Widerstand gegen eine europäische Politik sein, die sich täglich, stündlich am Leiden oder Sterben unzähliger Menschen schuldig macht.
GÜNTER REXILIUS, Mönchengladbach
Gebaut auf Würstchenfundament
■ betr.: „Darf man die Bayern lieben?“, taz vom 29. 3. 14
Zu der Unterstellung, andere Vereine seien wie die Bayern auch mit allen Wassern gewaschene Vereine, ist zu sagen: Von gewissen Illusionen im Fußballgeschäft kann man sich bestimmt verabschieden, aber das ist dann doch zu sehr die Dampfwalze und mal schön eingeebnet. Oder fällt Ihnen ein Verein ein, dessen Präsident die Gesellschaft mal eben um 30 Millionen gemeinschaftliches Kapital betrogen hat und ohne dessen beispiellosen Einsatz für den Verein der nicht wäre, was er heute ist? Eine perfekt organisierte Hollywoodmaschine aufgebaut auf ein Würstchenfundament. Man kann das bestaunen, aber lieben?
Wenn zu perfekt, nix Romantik – Spruch eines weisen Inders. Wahre Liebe …! FABIAN BACHMANN, Berlin
Mittel zum Zweck
■ betr.: „Seelenverwandt mit Putin“, taz vom 2. 4. 14
Jetzt ist sie wieder auferstanden – die Spezies der „Russlandversteher“. Pünktlich zum Beutezug des russischen Bären auf die Krim. Bis ins 19. Jahrhundert ist sie zurückverfolgbar. Aber was ist das gegen die Phalanx der Russophoben „von der Linken über das gutbürgerliche Milieu bis weit ins konservative Lager. Das hat (auch) eine lange Geschichte“. Leider hat Matthias Lohre sich Gerd Koenens Buch „Der Russlandkomplex“ nur halb zur Brust genommen: Russland fungiert für den jeweiligen deutschen Zeitgeist schon lange als Projektionsfläche, auf der eigene Wunschträume hochzukommen pflegen: rückwärts gewandte bäuerliche Idylle einerseits wie imperiale Anmaßung bis hin zu Vernichtungsphantasien, die dem jüdischen Bolschewismus unterstellt wurden. Richtiger wäre es, diesen Komplex als Changieren zwischen phobischer Abwehr und emphatischer Zuwendung zu beschreiben, schreibt Koenen.
Die sozialdemokratische Billigung der Kriegserklärung an Russland begründete der Vorwärts, Parteiorgan der SPD, Ende August 1914 mit dem Ziel der „Befreiung der Nationen vom Moskowitertum“! Es war nur Mittel zum Zweck, aus ihrer randständigen Position, die das deutsche Kaiserreich gnädig gewährte, herauszukommen, und die Bindewirkung der Russophobie zu nutzen. In Wirklichkeit, wie Koenen schreibt, hing die SPD aber schon einer aktiven deutschen Weltpolitik an. Wenn die Grünen und deren Parteiorgan nach 100 Jahren wieder auf die antirussische Pauke hauen, so lässt das an das Marx’sche Bonmot denken, „dass sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen zweimal ereignen, das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce“. GERD BROGI, Köln
Ein unpassender Vergleich
■ betr.: „Achtung! Feiern erlaubt!“, taz vom 3. 4. 14
So viel aufgestauter besserwissender arroganter Hass auf einmal. Blockwarte schickten Menschen in den Tod. Ein eher unpassender Vergleich für Menschen, die nachts gerne schlafen wollen, finde ich. MICHAEL LOBECK, Bonn
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