Gleiches Netz für alle

NEUTRALITÄT Highspeed für die Großen, Schneckentempo für die Kleinen will die EU verhindern. Netzbetreiber wie die Telekom sehen Europas Wettbewerbsfähigkeit bedroht

■ Bald: Das Europaparlament stimmte am Donnerstag dafür, sogenannte Roaming-Gebühren für die Handynutzung und das mobile Internet-Surfen im europäischen Ausland bis zum 15. Dezember 2015 zu verbieten. Bis zu einer endgültigen Entscheidung dürften aber noch Monate vergehen: Die Pläne benötigen auch die Zustimmung der EU-Staaten. Der europäische Verbraucherverband Beuc begrüßte die Forderungen. „Dabei gewinnt jeder. Derzeit nutzen 47 Prozent der Reisenden niemals mobiles Internet weil die Datenkosten so obskur sind.“

■ Ganz bald: Die EU drückt die Roaming-Kosten bereits seit Jahren Stück für Stück nach unten. Am 1. Juli sinken die Gebühren weiter – das ist längst beschlossen. Dann dürfen abgehende Telefonate nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten (derzeit 24 Cent), eingehende Telefonate nicht mehr als 5 Cent (derzeit 7 Cent). Beim SMS-Versand werden künftig 6 Cent fällig (bisher 8 Cent). Der Datendownload wird pro Megabite 20 Cent kosten (bisher 45 Cent). Hinzu kommt aber jeweils noch die Mehrwertsteuer in den jeweiligen Ländern. (dpa)

VON SVENJA BEDNARCZYK
UND DINAH RIESE

BERLIN taz | Es geht um Geld, Macht und Zensur – Dinge, die die Verbraucher interessieren sollten: Netzneutralität ist nicht nur eine abstrakte Forderung nerdiger Aktivisten. Momentan zahlen Internetnutzer einen festen Betrag und können Webseiten, Videos, Musik und Internettelefonie uneingeschränkt nutzen. Alle Daten werden dabei gleichberechtigt durch das Netz transportiert. Das ist Netzneutralität.

Stelle man sich vor, man könne sich etwas zu seinem Internet bestellen, das es sonst nicht gibt. Ein Extra – und zahle dafür etwas mehr. Beispielsweise Filme in besonders guter Auflösung. Solange man immer noch ohne Einschränkungen alle anderen Dienste nutzen kann, muss das noch nicht zu Lasten der Konkurrenz gehen.

Das EU-Parlament hat am Donnerstag über ein Internetpaket abgestimmt und damit die Netzneutralität erst mal gestärkt. Internetanbieter dürfen demnach einzelne Dienste nicht zum Schaden anderer Angebote bevorzugen. Internetnutzer sollen gleichberechtigten Zugang zu allen Angeboten bekommen. Mit ihrem Votum am Donnerstag in Brüssel gingen die Abgeordneten über Vorschläge der EU-Kommission hinaus.

Die Netzneutralität wäre damit geschützt, sagt der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht von den Grünen zu dem Beschluss. Spezialdienste, bei denen einzelne Firmen bevorzugt werden, sind zwar möglich. „Sie dürfen aber nicht über die allgemeine Infrastruktur laufen, sondern nur separat.“ Eine Priorisierung einzelner großer Unternehmen gestatte der vom Parlament verabschiedete Gesetzesentwurf nicht. Die Gleichberechtigung von kleinen Anbietern, Unternehmen wie Start-ups, sei sichergestellt. Zwar kann der EU-Ministerrat noch alles umwerfen, doch „nur wenn sich Rat und Parlament einigen, kann es ein Ergebnis geben“, sagt Albrecht.

Alexander Sander, Geschäftsführer des netzpolitischen Vereins Digitale Gesellschaft, sieht dennoch die Gefahr, dass Firmen wie Spotify oder Google sich trotzdem Bevorzugung erkaufen können. „Der Verbraucher, der diese Dienste nutzt, zahlt dann doppelt.“

Aufgekommen ist die Debatte zur Netzneutralität schon vergangenes Jahr. Damals wollte die Telekom den Hochgeschwindigskeitszugang für Flatrate-Kunden auf ein Limit von 75 Gigabyte im Monat beschränken. Kunden, die dennoch mehr herunterladen, sollten ausgebremst werden. Gleichzeitig wollte die Telekom jedoch Anbietern wie etwa Video- oder Musikstreaming-Diensten die Möglichkeit geben, gegen Zahlung einer Gebühr von der Drosselung ausgenommen zu werden – andere Anbieter wären damit diskriminiert worden. Die Telekom hatte die Pläne nach Protesten jedoch zunächst aufgegeben.

Bundesverbraucherminister Heiko Maas (SPD) begrüßte die Vorhaben. Sie seien „zwei für die digitale Welt wichtige Signale“, sagte er. Beide Beschlüsse könnten für Telekom-Unternehmen einen Verlust von Einnahmen bedeuten.

„Die Politik zieht uns den Teppich unter den Füßen weg“

PHILIPP BLANK, TELEKOM

Industrieverbände reagierten mit Kritik und verwiesen auf hohe Kosten für den Ausbau der Netze. Der Verband der europäischen Netzbetreiber (Etna) sah gleich die europäische Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr: „Die Netzbetreiber in Europa müssen Milliarden in die Infrastruktur investieren, um nicht ganz den Anschluss an die USA oder Asien zu verlieren“, sagt Philipp Blank von der Telekom. „Diese Investition müssten sich die Netzbetreiber auch über Spezialdienste finanzieren können. „Wenn die Politik diese Möglichkeit einschränkt und parallel die Roaming-Gebühren (siehe Kasten) auf null senkt, zieht sie uns den Teppich unter den Füßen weg.“

Zur Abstimmung stand in Brüssel auch die Frage, ob es Internetanbietern erlaubt sein soll, in Zeiten großer Netzauslastung bestimmte Inhalte zu verlangsamen. Bei dem Verkehrsmanagement genannten Verfahren werden große Datenmengen wie Videos bevorzugt transportiert, um den Datenfluss zu sichern – nicht aber um Extragebühren zu kassieren. Damit soll einer Überlastung vorgebeugt werden. Das soll künftig nach dem Willen des Parlaments erlaubt sein. Das müssen Internetanbieter dann ihren Kunden transparent erklären.

Abgelehnt wurde jedoch die Möglichkeit, die Weiterleitung strafbarer Inhalte, etwa Kinderpornografie, per Verkehrsmanagement zu blockieren. Die Kommission, die den Gesetzentwurf verfasst hatte, wollte so „schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern“ helfen. Eine Parlamentsmehrheit von Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Piraten lehnten dies jedoch ab – sie sahen darin eine Hintertür für weitergehende Netzsperren und Zensur. „Das Argument mit dem Schutz vor pornografischer Kriminalität ist seit Jahren das Totschlagargument“, sagt Martina Michels von der Linksfraktion im Europäischen Parlament. Die Politik habe andere Mittel, Anbieter von Kinderpornografie zu verfolgen.