Ungeliebter Kompromiss

Die Große Koalition hat sich im Gesundheitsstreit geeinigt. Aber die Enttäuschung ist groß: Die nördlichen Bundesländer fürchten um die Qualität der medizinischen Versorgung

VON ELKE SPANNER

Jubelschreie waren keine zu erwarten. Dass die Verhandlungsführer der großen Koalition in Berlin die geplante Gesundheitsreform nicht gänzlich kippen, sondern nur abändern würden, war klar, ehe sie zu ihrer Marathonsitzung Mittwochnacht zusammenkamen. Doch die ausgehandelten Modifizierungen sind aus Sicht von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken derart geringfügig, dass am Tag danach nicht einmal leises Aufatmen zu vernehmen ist. Das Fazit lautet vielmehr, dass der beschlossene Gesundheitsfonds „den Krankenkassen insgesamt keinen Cent mehr Geld bringen wird“, sagte Klaus Altmann von der AOK Niedersachsen. Die Hamburger Kollegen greifen zu drastischeren Einschätzungen: „Die Kassen werden in Geldnöte kommen“, sagte Vera Kahnert vom Verband der Ersatzkassen (VdaK/AEV). „Deshalb werden sie den Patienten weniger Leistungen anbieten können.“

In der unterschiedlichen Schärfe der Worte spiegeln sich regionale Unterschiede wieder. Hamburg als Stadtstaat ist ein vergleichsweise reiches Bundesland mit einem hohen Anteil an Gutverdienern, die entsprechend hohe Beiträge zahlen. Künftig aber werden die Beitragssätze für alle Kassen zentral in Berlin festgelegt – und zwischen den „reichen“ und „armen“ Kassen ausgeglichen. Die Kassen im als weniger finanzstark geltenden Niedersachsen können nach Auskunft von Altmann „mit einem Zufluss rechnen“ – die Hamburger hingegen nicht. Laut dem Vizepräsidenten der Hamburgischen Ärztekammer, Klaus-Otte Allmeling, deuten erste Zahlen darauf hin, dass bis zu 15 Prozent der derzeitigen Mittel entfallen werden. Pro Bürger und Jahr wären das 400 Euro weniger als im Moment. „Damit wäre Hamburg trauriger Spitzenreiter.“

Ein großes Problem stellt für die Länder dar, dass die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen weitgehend eingeschränkt wird. Bislang konnten die Kassen, Kliniken und kassenärztlichen Vereinigungen eines Landes beispielsweise miteinander die Preise für Krankenhausleistungen aushandeln. Sie haben auch Vertreter in den „gemeinsamen Bundesausschuss“ entsandt, wo darüber entschieden wurde, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen zu finanzieren sind. In Zukunft aber werden diese Entscheidungen der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums unterstellt. Die Beiträge an die Krankenkassen werden durch den zentralen Gesundheitsfonds verteilt. Dadurch verlieren die einzelnen Kassen ihre Planungsautonomie – und Sicherheit. Regionale Besonderheiten in der Gesundheitsversorgung können somit weniger berücksichtigt werden. Das kritisiert Robert Quentin von der kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein. Das nördlichste Bundesland verfüge beispielsweise mit dem Brustkrebsprojekt „QuaMaDi“ über ein bundesweit einmaliges Angebot. Wenn die Kassen ihr Angebot nicht länger über ihre Beiträge steuern können, so Quentin, „wird QuaMaDi wahrscheinlich zu Ende gehen“.

Auch in Hamburg fürchtet man um die Qualität der medizinischen Versorgung. Die Stadt verfügt über ein breites Netz an Fachärzten und hochspezialisierten Praxen und Kliniken – deren Leistungen teurer sind als die eines Allgemeinmediziners. Bekommen die Kassen aber für ihre Patienten weniger Geld, so Kahnert vom VdaK/AEV, können teure Geräte und Behandlungen nicht mehr ohne weiteres finanziert werden. Ebenso verhalte es sich mit allen Leistungen, die nicht gesetzlich festgeschrieben sind, beispielsweise Kuren oder Präventionsangebote: „Die müssen gestrichen werden.“

Auch Jürgen Abshoff, Geschäftsführer der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, prophezeit, „dass die medizinische Versorgung schlechter wird“. Für die Kliniken sei das größte Problem, dass alle pauschal einen „Solidarbeitrag“ erbringen und dafür ein Prozent ihres Budgets einsparen müssen. „Die Krankenhäuser sind ohnehin schon unterfinanziert“, sagte Abshoff. In patientenfernen Bereichen wie der Verwaltung zu sparen, „geht nur bis zu einem bestimmten Punkt“.

Das proklamierte Ziel der Berliner Großen Koalition, mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen zu schaffen, ist nach nahezu einhelliger Einschätzung von Fachleuten aus der Gesundheitsbranche verfehlt. Da die Kassen ihr Angebot nicht mehr selbst über ihren Beitragssatz steuern könnten, bliebe ihnen nur die Möglichkeit, „mit den Leistungen runterzugehen“, sagte Quentin von der kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein. Diese Einschätzung teilt auch Kahnert von der Hamburger VdaK/AEV: „Das ist kein Leistungswettbewerb, sondern ein reiner Kostenwettbewerb.“