Hochschule ohne Reife

STUDIUM Bildungsreformen sollen junge Menschen immer früher auf das „wahre Leben“ vorbereiten. Der jüngste Clou: das Frühstudium. Auch wenn man das Abitur noch nicht in der Tasche hat, kann man die Unibank drücken

„Mein Sohn ging morgens früh aus dem Haus und kam irgendwann abends wieder. Dazwischen nur Schule und Lernen, sonst nichts“

Elena Afelt, Juniorstudenten-Mama

VON FRIDA KAMMERER

Viele Jugendliche wissen nicht, was sie nach der Schule machen sollen: Studium oder Ausbildung? Vielleicht erst mal ein Jahr ins Ausland? Oder den Bundesfreiwilligendienst machen? Oder etwas ganz anderes? Im Gegensatz dazu gibt es Jugendliche, die schon immer wussten, was sie wollen. Oder sich zumindest die Richtung vorstellen konnten. Einer dieser Jugendlichen ist Martin Afelt. Der hochbegabte 18-Jährige wusste schon früh, dass er etwas mit Zahlen machen wollte. In der Oberstufe sprach ihn seine Lehrerin an, ob er sich nicht vorstellen könnte, schon Mathematik zu studieren.

Zwar studiert Martin jetzt Informatik, geholfen hat ihm sein Frühstudium aber trotzdem: „Durch die Vorkenntnisse hatte ich später weniger Probleme im Modul. Außerdem kann man sich die Creditpoints aus dem Frühstudium anrechnen lassen“, sagt er.

Martin macht ein Duales Studium, wird also in den Semesterferien noch in einem Betrieb ausgebildet. Der Arbeitgeber war von seinem Lebenslauf beeindruckt: Eine Mischung aus Schule, Universität und Nebenjob.

Das Risiko eines Frühstudiums ist überschaubar. Die Prüfungen sind nicht verpflichtend: Nur wer selber möchte, kann sie mitschreiben. Scheine und Creditpoints können ins spätere Studium übernommen werden, ohne dass man verpflichtet ist, sie zu machen.

Falls man die Prüfungen nicht schafft, kann man sie im späteren Studium problemlos wiederholen. Meist probiert ein Juniorstudent im ersten Semester zunächst ein Fach aus und kann danach auf Wunsch eine andere Studienrichtung besuchen. Oder ins höhere Semester wechseln.

Studiengebühren werden für die Frühstudenten nicht erhoben. An der Hamburger Uni musste bislang kein Schüler abgelehnt werden. Viele Fächer bieten dort zehn Plätze an, andere weniger, zum Beispiel nur drei.

Studenten und Professoren stört es nicht, wenn „Schulkinder“ mit im Seminar sitzen, im Gegenteil: „Bisher haben wir sehr positive Rückmeldungen über die engagierten Schüler und Schülerinnen bekommen“, sagt Christiane Kuhrt von der Uni Hamburg.

Eine Sonderbehandlung können Schüler aber nicht erwarten. In der Regel bekommen Junior-Studierende keine zusätzliche Unterstützung, sondern werden wie reguläre Studierende betreut. Sonderbehandlungen gibt es nur bei den Formalien, sie haben keine strikte Anwesenheitspflicht. Die Altersunterschiede sind zum Teil enorm: „Wir hatten eine Schülerin, die zwölf Jahre alt war. Zurzeit ist der jüngste Schüler 14 Jahre alt“, so Kuhrt.

Dabei ist dieses Konzept nicht allzu neu. In der DDR gab es ein ähnliches Angebot: die Spezialklassen. Sie wurden 1964 an Hochschulen und Universitäten eingerichtet und hatten die Förderung für Hochbegabte als Ziel. Dort haben die Schüler sogar den ganzen Tag an der Universität verbracht. Abseits des normalen Schüler- und Studentenlebens wurden sie in ihren Spezialfächern auf Hochschulniveau unterrichtet.

Während in der DDR für alle Bereiche Spezialklassen existierten, gab es die Frühstudiengänge zeitweise fast nur in Naturwissenschaften. Das hat sich mittlerweile geändert, in fast jedem Bereich kann man sich umsehen. Nur Fächer wie Medizin und Chinesisch sind noch nicht verfügbar, die Studienplätze sind dort so rar, dass auch keine Schüler mehr in die Hörsäle passen.

Quer durch die Republik bieten inzwischen fast alle Universitäten Juniorstudiengänge an, die erste war die Leibniz Universität in Hannover. Zum Wintersemester 1999 hatten Schüler das erste Mal die Möglichkeit noch vor dem Abitur zu studieren.

Doch die Teenager-Studenten zahlen privat auch einen gewissen Preis. Auch wenn Martin Afelt in der Schule stundenweise freigestellt war und die Universität nicht auf Anwesenheit pochte, war die Sache aufwendig. Wer Frühstudent ist, muss vor allem früh mit dem Zeitmanagement beginnen. So hatte Martin jeden Dienstag einen Zwölf-Stunden-Tag. Ohne Freistunden. Von der Schule ging es direkt in die Uni. Wer nicht sonderlich stressresistent ist, geht hier unter. Auch wenn seine Familie immer hinter ihm stand, und natürlich stolz war, dass der Sohn schon studiert, war Martins Mutter nicht immer ganz glücklich damit: „Mein Sohn ging morgens früh aus dem Haus und kam irgendwann abends wieder. Dazwischen nur Schule und Lernen, sonst nichts“, erinnert sich Elena Afelt. „Der kam abends nach Hause und fiel einfach so komplett angezogen ins Bett.“

Nebenbei hat Martin noch in der Rezeption einer Hotelkette gearbeitet. Nach einem Semester Frühstudium Mathematik war für ihn allerdings Schluss. Dann setzte die Oberstufe ein und er wollte sich auf sein Abitur konzentrieren.