Mit den Schurken verhandeln!

Bundeswehr-Auslandseinsätze stoßen auf immer mehr Skepsis, selbst bei prinzipiellen Befürwortern. Wobei Prinzipien kaum zu sehen sind: siehe Afghanistan, siehe Somalia

Gefordert werden „politische Konzepte“ – für Länder, in denen alle politischen Konzepte gescheitert sind

Das Murren wird lauter. Die deutsche Beteiligung an internationalen Einsätzen stößt zunehmend auf Skepsis – und zwar ausgerechnet in den Reihen jener, denen oft eine Bereitschaft zur Militarisierung der Außenpolitik unterstellt worden ist. Die Hoffnung, Frieden und Stabilität ließen sich mit Waffengewalt erzwingen, wird inzwischen auch von vielen für eine Illusion gehalten, die Kriegführung als Mittel der Politik nicht prinzipiell ablehnen.

Das rückt eine grundsätzliche, nur scheinbar banale Frage in den Mittelpunkt des Interesses. Nämlich: Weswegen gehen wir eigentlich überhaupt wohin? Konkret: Was haben deutsche Soldaten im Kongo verloren? Wie kommt die Bundeswehr je wieder aus Afghanistan heraus?

Für die Zustimmung zum Libanon-Einsatz warb Angela Merkel kürzlich mit der Zusicherung, sich nicht mit weiteren Truppen an einer möglichen UN-Mission im sudanesischen Darfur beteiligen zu wollen. Dort findet ein Völkermord statt. Das genügt jedoch auch Befürwortern der Bombardierungen von Jugoslawien und Afghanistan nicht mehr als Begründung für ein größeres Engagement. Die Bundeswehr könne nicht die Rolle einer humanitären Weltpolizei übernehmen – das sagen heute ausgerechnet jene, die noch vor wenigen Jahren sogar Angriffskriege mit humanitären Argumenten gerechtfertigt haben.

Wenn das aber als überholt gilt – was kann dann die Grundlage außenpolitischer Entscheidungen bilden? Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich die so genannten nationalen Interessen. Eine interessengeleitete Außenpolitik wird mittlerweile von keinem politischen Lager mehr prinzipiell abgelehnt. Das liegt – auch – daran, dass sich unter dem Dach dieser scheinbar so nüchternen Forderung alles und jedes unterbringen lässt, was ins eigene Weltbild passt.

Was liegt denn eigentlich im deutschen Interesse? Die besondere Pflege der transatlantischen Beziehungen? Die Stärkung der UNO? Unilateralismus? Multilateralismus? Oder ein: je nachdem und sowohl als auch und alles zusammen? Ein ständiger Platz im Weltsicherheitsrat? Der ungehinderte Zugang zu den Ölvorräten dieser Welt? Die Vertiefung der EU? Oder deren Erweiterung – bis an die Grenze zum Irak? Rüstungskontrolle? Oder die Lockerung von Rüstungsexportbestimmungen?

Solange sich jede Position in die Forderung nach Beachtung deutscher Interessen integrieren lässt, so lange ist sie nicht mehr als eine Floskel. Ihre Akzeptanz zeugt zwar vom Wandel des Zeitgeistes, besagt aber sonst nicht viel. Weswegen sie nicht mehr weiterhilft, sobald es konkret wird. Das gilt auch für eine andere Formulierung, die in keiner Debatte über einen Militäreinsatz fehlt. Gemeint ist die routiniert erhobene Forderung nach einem politischen Konzept, das „selbstverständlich“ den Einsatz begleiten müsse.

Selbstverständlich. Und von wegen. Die meisten internationalen Militäreinsätze der letzten Jahre sind – unabhängig von ihrer jeweiligen völkerrechtlichen Legitimität – genau daran gescheitert: dass es für die Länder, in die internationale Truppen geschickt wurden, eben kein überzeugendes politisches Konzept gab. Im Widerspruch zu allem, was in Sonntagsreden behauptet wird, begleitete eine unbegründete Hoffnung den Marschbefehl nach Somalia und Afghanistan, in den Kosovo und auch in den Irak: es werde sich schon alles finden, wenn die ausländischen Soldaten erst einmal da seien. Wie man inzwischen weiß, hat es sich nicht gefunden. Das stimmt wenig zuversichtlich für die Zukunft des Kongo und des Libanon.

Politiker, die sich gerne für pragmatisch halten wollen, flüchten sich inzwischen oft auf einen Schleichweg: Sie behandeln Militäroperationen wie eine Alternative zu einem politischen Konzept – statt als dessen notwendige Ergänzung. Das zeigt ein Blick auf zwei sehr unterschiedliche Länder.

Das riskante Engagement in Afghanistan, dessen Ende weder politisch noch militärisch absehbar ist, wird vor allem damit begründet, es müsse unter allen Umständen verhindert werden, dass erneut ein sicheres Rückzugsgebiet für terroristische Gruppen entsteht. Diesem Argument lässt sich wenig entgegensetzen. Es ist durchaus möglich, den Krieg gegen das Taliban-Regime für einen schweren Fehler zu halten – und dennoch die Ansicht zu vertreten, dass ein Abzug der internationalen Truppen zum gegenwärtigen Zeitpunkt grob fährlässig wäre.

Niemand kann die Augen gleichzeitig überall auf der Welt haben. Deshalb agieren Außen- und Verteidigungsminister nicht alleine, sondern haben Apparate zur Verfügung, die sie mit Informationen versorgen, auch über entlegene Regionen. Oder versorgen sollten. Schaut eigentlich irgend jemand mal wieder nach Somalia?

Das Land, das ebenso wie Afghanistan für eines der Musterbeispiele eines „zerfallenen Staates“ gilt, wird inzwischen in weiten Teilen von Islamisten beherrscht. Ein großer Teil der Bevölkerung applaudiert dem, weil die Leute nach jahrelangem Bürgerkrieg den Zustand der Gesetzlosigkeit schlicht satt haben. Wie reagiert der Westen, wie reagieren die USA darauf?

Was liegt denn „im deutschen Interesse“? Diese Floskel hilft nicht weiter, wenn es konkret wird

Der Westen insgesamt reagiert gar nicht, offenbar mangels Interesse. Die USA reagieren falsch. Unfassbar falsch. Sie unterstützen eine so genannte Übergangsregierung, über deren Legitimität sich streiten lässt und die ein Gebiet kontrolliert, das – würde man es auf das deutsche Staatsgebiet übertragen – etwa der Größe und Bedeutung von Tübingen entspricht. Und wie unterstützt die letzte verbliebene Weltmacht diese „Regierung“? Sie begleitet wohlwollend den Einmarsch äthiopischer Soldaten nach Somalia.

Somalia und Äthiopien sind seit langem verfeindet und haben in den 70er-Jahren um territoriale Streitigkeiten sogar einen sehr blutigen Krieg geführt. Es bedarf keiner großen Fantasie, um vorherzusagen, dass die Haltung der USA den Islamisten weiteren Zulauf bescheren wird. Was wird die Folge sein? Auch für die Antwort auf diese Frage bedarf es keiner großen Fantasie. Irgendwann in den nächsten Jahren werden Nato-Staaten aufgefordert werden, im Rahmen des Kampfes gegen den Terror die islamistische Regierung in Somalia militärisch in die Schranken zu weisen.

Warum sollte dieser Versuch dann eigentlich erfolgversprechender sein als die Operation in Afghanistan? Hoffnung gibt es doch nur, wenn es gelingt, sowohl die Überzeugungstäter als auch und vor allem die sie finanzierenden Geschäftsleute davon zu überzeugen, dass Friede ihren Interessen dienlicher ist als Krieg. Dafür muss man allerdings bereit sein, mit „Schurken“ zu verhandeln. Das gilt übrigens nicht nur für Somalia. Sondern auch für den Sudan, für den Iran, für Nordkorea, vielleicht sogar für Afghanistan. Das ist keine Garantie für Erfolg. Und das ist auch nicht schön. Aber unsentimental. Damit unterscheiden sich Verhandlungen immerhin wohltuend von den modernen Formen des Säbelrasseln. Die erinnern zunehmend an Pfeifen in dunklen Wäldern. BETTINA GAUS